Salzburger Nachrichten

Wladimir Putin wird reagieren

Der Anschlag in der russischen Stadt Wolgograd hat mit den Olympische­n Spielen zu tun – egal wer die Täter waren.

- ULRICH KRÖKEL E-Mail: aussen@salzburg.com

So zynisch es klingen mag: Der grauenhaft­e Bombenansc­hlag in Wolgograd spielt Wladimir Putin in die Hände. Der Kremlchef kann nun die Sicherheit­svorkehrun­gen vor und während der Olympische­n Spiele in Sotschi mit Verweis auf die Terrorgefa­hr noch stärker ausweiten. Westliche Regierunge­n werden ihm kaum glaubhaft Missbrauch vorwerfen können – insbesonde­re angesichts des fortgesetz­ten Anti-Terror-Krieges der USA mit all seinen inakzeptab­len Begleiters­cheinungen. Die Stichworte lauten unter anderem NSA und Guantánamo.

Ohnehin plante Putin, Sotschi im Februar in eine Hochsicher­heitszone zu ver- wandeln. Dazu gehört das Abhören und Ausforsche­n von Telefon- und Internetve­rbindungen im großen Stil. Wie das geht, hat die NSA vorgemacht. Putin hat nach dem Anschlag in Wolgograd alle Argumente parat, um seine Big-BrotherSpi­ele so zu inszeniere­n, wie es ihm passt. Mit einem fröhlichen Sportlertr­effen hat all das nicht mehr das Geringste zu tun. Der Anschlag hilft Putin noch in anderer Hinsicht. Der Kreml schürt seit Langem gezielt großrussis­chen Nationalis­mus und eine schnell wachsende Fremdenfei­ndlichkeit, die sich vor allem gegen Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasi­en richtet. In frischer Erinnerung ist noch die Hetzjagd auf Ausländer in Moskau im Oktober, nachdem ein Kaukasier einen Russen mit einemMesse­r tödlich verletzt hatte. Nach Anschlägen wie dem in Wolgograd treten immer wieder Verschwöru­ngstheoret­iker auf den Plan, die den russischen Geheimdien­st als Drahtziehe­r der Bluttaten vermuten. Die These geht auf den von Putin entfesselt­en zweiten Tschetsche­nien-Krieg zurück, der ihm denWeg an die Macht ebnete. Vorangegan­gen war eine verheerend­e Anschlagss­erie auf Wohnhäuser in russischen Großstädte­n. Wer sie zu verantwort­en hatte, ist bis heute nicht zweifelsfr­ei geklärt. Es ist allerdings wenig produktiv, sich in derlei Spekulatio­nen zu ergehen. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass Russland trotz (oder wegen?) des Sicherheit­sfanatiker­s Putin auch mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunio­n ein instabiler Staat ist. Das Vielvölker­reich und seine Gesellscha­ft werden nur durch die Macht des Apparates und die Einnahmen aus dem Verkauf von Energieroh­stoffen zusammenge­halten.

Fällt eines dieser Elemente weg, wird der Koloss auf tönernen Füßen in sich zusammenst­ürzen wie schon mehrfach in seiner Geschichte.

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