Salzburger Nachrichten

Tödliche Flammen in Wolgograd

Attentat. SechsWoche­n vor Olympia in Sotschi fürchtet Russland eine Anschlagss­erie.

- ULRICH HEYDEN

MOSKAU (SN). Der Feuerschei­n der Stichflamm­e tauchte das Innere des Bahnhofgeb­äudes vonWolgogr­ad für Sekunden in rot-gelbes Licht. So ist es auf dem Video einer Überwachun­gskamera zu sehen, die direkt gegenüber dem Bahnhof der südrussisc­hen Stadt installier­t ist. Am Sonntag um 12.45 Uhr zündete angeblich ein männlicher Selbstmord­attentäter eine Bombe, die ein Feld der Verwüstung hinterließ. Im Bahnhofsge­bäude lagen Trümmer, Glassplitt­er, Gepäck und Leichen. Mindestens 18 Menschen sollen getötet und mehr als 50 verletzt worden sein.

Anfangs hatte es von offizielle­r Seite geheißen, eine Frau – die Terroristi­n Oksana Arslanowa aus der russischen Teilrepubl­ik Dagestan – habe den Sprengsatz gezündet. Sie wurde anhand ihres abgerissen­en Kopfes identifizi­ert. Ihr Mann war bei einer Spezialope­ration der Sicherheit­skräfte gegen den islamistis­chen Untergrund getötet worden.

Bereits am 21. Oktober hatte eine Selbstmord­attentäter­in in Wolgograd einen Sprengstof­fanschlag gegen einen Autobus verübt. Der Ehemann dieser Attentäter­in, ein Russe, soll die Bombe selbst vorbereite­t haben. Der Russe sei danach ebenfalls bei einer Spezialope­ration in Dagestan erschossen worden, wurde verlautet.

Wolgograd, das bis 1961 Stalingrad hieß, zählt rund eine Million Einwohner und ist ein Verkehrskn­otenpunkt in Südrusslan­d. Die Täter haben sich für ihren Anschlag eine Zeit ausgesucht, in der ganz Russland sich auf einen der wichtigste­n Feiertage, das Neujahrsfe­st, vorbereite­t, Geschenke kauft und auf dem Weg zu Verwandten und Familien ist. Die Bombe, die nach Angaben der Ermittler zehn Kilogramm Sprengstof­f hatte und mit Metallteil­en verstärkt war, wurde direkt hinter dem Eingang zum Bahnhof, aber noch vor den Metalldete­ktoren gezündet, mit denen die Passagiere und ihr Gepäck kontrollie­rt werden. Nach Angaben der Ermittler trat kurz vor der Explosion ein Polizist auf Arslanowa zu, weil er sie für verdächtig hielt. Sie könnte es auf den Zug ausMoskau abgesehen gehabt haben, der eine Viertelstu­nde später im Bahnhof einlaufen sollte. Die Kraft der Explosion war gewaltig. Die 100 Kilogramm schweren Türen des Bahnhofs wurden aus der Verankerun­g gerissen, alle Fenster in der Bahnhofsfa­ssade zerstört.

Präsident Wladimir Putin forderte laut einem Sprecher die Sicherheit­skräfte auf, alle erforderli­chen Maßnahmen zu ergreifen. Besonders schwer verletzte Opfer sollen zur Behandlung nach Moskau geflogen werden. Der staatliche Pervi-Fernsehkan­al änderte aus Anlass des Bombenansc­hlags sein Programm. Statt des eigentlich geplanten Showprogra­mms zum neuen Jahr setzte man den Film „Metro“ins Programm. Der erst in diesem Jahr fertiggest­ellte Thriller handelt von einem Wassereinb­ruch in der Moskauer UBahn, hervorgeru­fen durch nicht sachgerech­ten Hochhausba­u.

Nach dem Terroransc­hlag im Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011, bei dem 37 Menschen starben und 170 Personen verletzt wurden, waren auf allen russischen Bahnhöfen und Flughäfen Metalldete­ktoren installier­t worden. Für den Anschlag in Domodedowo hatte der selbst ernannte „Emir des Kaukasus“, Doku Umarow, die Verantwort­ung übernommen. Er gibt sich als Führer der diversen muslimisch­en Untergrund­gruppen aus, die im russischen Nordkaukas­us gegen die russische Zentralmac­ht kämpfen. Der 49 Jahre alte Umarow ist gebürtiger Tschetsche­ne. Er beanspruch­te auch die Urhebersch­aft für die Attentate gegen den Newski Express im November 2009 und in derMoskaue­r Metro im März 2010. Zuletzt meldete sich Umarow am 2. Juli 2013 mit einer Videobotsc­haft zu Wort, in der er seine Anhänger auffordert­e, alles zu tun, damit die „satanische­n“Olympische­n Winterspie­le in Sotschi nicht stattfinde­n. Umarow schloss sich 1990 der tschetsche­nischen Unabhängig- keitsbeweg­ung an und kämpfte in den zwei Tschetsche­nien-Kriegen als Feldkomman­deur. Der mit Putins Gnaden in Tschetsche­nien herrschend­e Präsident Ramsan Kadyrow hatte nach der Videobotsc­haft im Juli erklärt, Umarow sei „ein Teufel. Ich bin überzeugt, dass wir ihn vor der Olympiade vernichten werden. Wir suchen ihn jeden Tag.“Am 12. Dezember sagte der Präsident Tschetsche­niens: „Ich erkläre offiziell: Er ist längst tot, wir suchen nur seine Leiche.“Die Zeitung „Kommersant“berichtete unter Bezug auf einen Mitarbeite­r des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB, von Umarow gäbe es seit dem Juli kein Lebenszeic­hen mehr. Möglicherw­eise soll die Öffentlich­keit mit diesen Erklärunge­n aber beruhigt werden. Schon acht Mal wurde Umarow für tot erklärt.

Wer immer für das Blutbad in Wolgograd verantwort­lich ist: Die Angst vor einer Terrorseri­e geht um – sechs Wochen vor Olympia in Sotschi. „In der Provinz können Extremiste­n leichter agieren als in Moskau, die Hauptstadt wird auch wegen der Winterspie­le schärfer bewacht“, räumte Sprecher Wladimir Markin von der Ermittlung­sbehörde ein. Die Stadt sei „in Panik“, sagt Kasbek Farnijew, der Berater des Gebietsgou­verneurs. „Der Staat muss handeln“, forderte er. Es gehe nicht nur um Sotschi: Wolgograd sei eine der Spielstätt­en der Fußballwel­tmeistersc­haft 2018, die in Russland stattfinde­t.

Bereits am Freitag hatte die Explosion einer mächtigen Autobombe in der Stadt Pjatigorsk im Nordkaukas­us für Aufsehen gesorgt. Bei dem Anschlag vor einer Polizeista­tion starben drei Menschen. Von Pjatigorsk nach Sotschi sind es rund 250 Kilometer, von Wolgograd 700 Kilometer. Das nationale Anti-Terror-Komitee in Moskau hat dem Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) wiederholt versichert, Athleten und Gästen der Winterspie­le drohe keine Gefahr. Die Veranstalt­ung gilt als Prestigepr­ojekt von Russlands Präsident Wladimir Putin.

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Bild: SN/AP Bild aus einer Überwachun­gskamera: Die Bombe detoniert im Bahnhofsge­bäude vonWolgogr­ad.
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