Salzburger Nachrichten

Jeder Zehnte lebt an einem Hotspot

Neue Normalität. Wassermang­el im gesamten Mittelmeer­raum und dramatisch­e Ernteausfä­lle wegen anhaltende­r Trockenhei­t in Ostafrika – Klimaforsc­her zeigen, wie sich die Erde verändern wird.

- BARBARA MORAWEC

WIEN, POTSDAM (SN). Klimaforsc­her haben ein noch plastische­res Vorhersage­modell ausgearbei­tet, das zeigen soll, ab wann wo mit welchen Auswirkung­en der zunehmende­n Erderwärmu­ng zu rechnen ist.

Ergebnis: Bereits jeder zehnte Mensch lebt an einem Ort der Erde, der mit hoherWahrs­cheinlichk­eit bis Ende des Jahrhunder­ts zu einem der Brennpunkt­e der Folgen ungebremst­er globaler Erwärmung wird. Betroffen sind der Mittelmeer­raum, Ostafrika, der Nahe Osten über Afghanista­n, Pakistan und Indien bis nach Thailand, die Philippine­n, Indonesien, Mittelamer­ika sowie nördliche Teile Südamerika­s.

Interessan­t ist vor allem, dass die Unruhen in der arabischen Welt genau in der vom Klimawande­l am stärksten betroffene­n Region stattfinde­n. Zwar stammt aus Nordafrika und dem Nahen Osten auch ein Großteil der fossilen Energieträ­ger Öl und Gas, de- ren Verbrennun­g den Klimawande­l verstärken. Aber es sind auch Länder wie Ägypten oder Tunesien betroffen, die keine Öl- oder Gasvorkomm­en besitzen.

Bei dem Modell der Wissenscha­fter geht es um das Zusammenwi­rken von Folgen des Klimawande­ls auf Ernten, Ökosysteme, Gesundheit und die Verfügbark­eit vonWasser.

Veränderun­gen in mehreren dieser Sektoren sind in der Amazonasre­gion, im Mittelmeer­raum und in Ostafrika zu erwarten. In einem extremeren Szenario wären noch deutlich mehr Menschen betroffen. Wenn sich die Klimafolge­n überlappen, können sich Wechselwir­kungen ergeben – „das erzeugt ein Vielfaches an Druck auf die Lebensgrun­dlagen der Menschen in den betroffene­n Regionen“, sagt die Studienlei­terin Franziska Piontek vom PotsdamIns­titut für Klimafolge­nforschung. „Und das ist auch der Grund, warum wir untersucht haben, wo der Klimawande­l besonders schmerzlic­h spürbar werden wird. Dabei stellte sich heraus, dass das sowohl in Entwicklun­gs- als auch in Industriel­ändern der Fall ist“, betonte die Forscherin. Die Ergebnisse der Modellrech­nung lassen erkennen, dass sich die Risiken für Natur und Gesellscha­ft mit jedem Grad Celsius, um das wir unseren Planeten erwärmen, deutlich erhöhen. Mit dieser Studie wurde erstmals versucht, chen, auf die globale Erwärmung zu reagieren. Die Studie war auch für die Forscher überrasche­nd. So zeigte sich, dass das Verwenden mehrerer verschiede­ner Modelle des Klimawande­ls und seiner Folgen dazu führte – auch wenn dies zunächst als Widerspruc­h erschien –, dass nicht nur die Robustheit der Ergebnisse zunahm, sondern auch die Streubreit­e.

So wurde etwa ermittelt, dass der gesamte Mittelmeer­raum betroffen sein wird – vor allem durch akuten Wassermang­el. Für diese Berechnung wurden Daten aus mehr als 30 Jahren herangezog­en und mit der Erderwärmu­ng in Relation gesetzt. Was heute noch ein Extrem ist, etwa große Hitze und so gut wie kein Regen, könnte morgen bereits die neue Normalität sein.

In den Brennpunkt­regionen Afrikas könnten sogar vergleichs­weise geringe Veränderun­gen der Temperatur bereits zu Ernteverlu­sten führen, die Kleinbauer­n nicht verkraften würden.

Hans Joachim Schellnhub­er, Di- rektor des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung, fasst die allgemeine Ratlosigke­it über den so unwägbar erscheinen­den Klimawande­l mit scharfem Verstand so zusammen: „Es ist ein Elefant im Zimmer. Merkwürdig­erweise scheinen ihn aber viele nicht zu sehen.“Viele Entscheidu­ngsträger zögen es vor, sich gegenüber den Auswirkung­en der globalen Erwärmung blind zu stellen, während viele Wissenscha­fter ihren Blick nur auf sehr spezielle Aspekte des Klimawande­ls fokussiert­en. „So ähneln wir den Blinden aus der Fabel, die unterschie­dliche Teile des gleichen Elefanten berühren: beim Ergreifen des Rüssels ist einer von ihnen davon überzeugt, eine Schlange in der Hand zu halten, ein anderer hält den Schwanz für ein Seil. Um das Tier zu erkennen, müssten sie miteinande­r reden, um die unterschie­dlichen Teile zu identifizi­eren und zusammenzu­setzen“– und genau das ist in diesem internatio­nalen Studienpro­jekt geschehen.

 ?? Bild: SN/PIK, JOHN ISAAC ?? Erste Folgen zeigen sich bereits: ein verlassene­s afrikanisc­hes Dorf. Die Menschen sind weggezogen, weil sie keine Lebensgrun­dlage mehr fanden. Jahrhunder­tealteWohn­gegenden in Ostafrika könnten schon bald zu Brennpunkt­en des Klimawande­ls gehören.
Bild: SN/PIK, JOHN ISAAC Erste Folgen zeigen sich bereits: ein verlassene­s afrikanisc­hes Dorf. Die Menschen sind weggezogen, weil sie keine Lebensgrun­dlage mehr fanden. Jahrhunder­tealteWohn­gegenden in Ostafrika könnten schon bald zu Brennpunkt­en des Klimawande­ls gehören.
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