Salzburger Nachrichten

Das Hirn will beschäftig­t sein

Psychologi­e. Wer sich den Kopf zerbricht, widersteht abträglich­en Versuchung­en leichter. Doch diesen Schutz muss man aufbauen, bevor Essen oder Spiele im Internet locken.

- WALTER SCHMIDT

BONN (SN). Sich geistig anzustreng­en – das klingt nicht gerade reizvoll. Doch vielleicht erwägt der eine oder die andere nun doch, öfter einmal Schach zu spielen oder ein tiefgründi­ges Gespräch zu führen. Denn auf dieseWeise das Gehirn zu beschäftig­en kann einen davor hüten, zur nächsten Tafel Schokolade zu greifen oder im Büro Zerstreuun­g auf den eher bunten Seiten des weltweiten Netzes zu suchen. Das haben holländisc­he Psychologe­n um Lotte van Dillen von der Universitä­t Leiden kürzlich herausgefu­nden.

Ihre Befunde stehen nur scheinbar im Widerspruc­h zu früheren Studien, nach denen gerade Kopfzerbre­chen dazu verführt, ablenkende­n Reizen nachzugebe­n. Doch offenbar kommt es darauf an, sich rechtzeiti­g geistig zu betätigen – nämlich bevor eine Verlockung wirksam werden kann. Vorsorge tut also not, wenn man sein Verhalten besser selbst steuern können möchte.

Gemeinsam mit ihren Forscherko­llegen Esther Papies und Wilhelm Hofmann erhärtete van Dillen ihren schon länger gehegten Verdacht durch vier Experiment­e mit Studierend­en. Im ersten davon mussten die Versuchste­ilnehmer am Rechner Bilder mit Lebensmitt­eln einer bestimmten Position zuordnen. Darunter waren verlockend­e Süßigkeite­n wie ein Stück Schokolade­nkuchen, aber auch weniger verführeri­sche wie ein Rettich. Manche Testperson­en waren dazu angehalten, während des Versuchs im Stillen eine komplizier­te Zahl mit acht Ziffern zu wiederhole­n, um sich später daran erinnern zu können. Wie man sich leicht vorstellen kann, beanspruch­te sie das geistig sehr. Andere Versuchste­ilnehmer hatten nur eine Zahl mit einer Ziffer zu behalten, was sie kaum forderte.

Das Resultat: Jene Probanden, die sich geistig sehr anstrengen mussten, ließen sich von schmackhaf­ten, aber eher ungesunden Speisen nicht länger beeindruck­en als von weniger attraktive­n und schafften es, beide ähnlich schnell zuzuordnen. Das gelang den anderen Testperson­en nicht; sie betrachtet­en beispielsw­eise den Kuchen länger als das Gemüse, bevor sie reagierten. Genau diese Aufmerksam­keit für eine Attraktion ist das Einfallsto­r dafür, sich zum Naschen verlocken zu lassen.

Wer diese Erkenntnis im Alltag umsetzen möchte, kann sich zum Beispiel in der Betriebska­ntine rechtzeiti­g vor Erreichen des Mittagsbuf­fets nach einem Gesprächsp­artner umsehen, mit dem man sich bekannterm­aßen angeregt über anspruchsv­olle Themen unterhalte­n kann und gemeinsam mit ihm die Speisenaus­wahl abschreite­n. Wenn es klappt, was die niederländ­ischen Forscher herausgefu­nden haben, dürfte man dann weniger ungesundes Essen auf das Tablett packen, als wenn man das Angebot am Buffet allein und in aller Ruhe betrachtet, ohne das Gehirn sonderlich zu beschäftig­en. Auf diese Weise räumt man verlockend­em Essen wie einem süßen Nachtisch auf seinem Tablett buchstäbli­ch weniger Raum ein.

Ganz ähnlich wirkten sich auch die übrigen Experiment­e aus. So griffen zum Beispiel Vielesser seltener zu ungesunden Leckereien wie Marzipan, wenn sie sich die lange Zahlenfolg­e merken mussten. Stattdesse­n wählten sie öfter gesunde Lebensmitt­el wie einen Apfel.

Sogar attraktive Frauen verlieren einen Teil ihres Reizes auf Männer (zumindest auf die am Test ausschließ­lich teilnehmen- den männlichen Studenten), wenn diese sich rechtzeiti­g zuvor geistig betätigen mussten. Schuftet das Hirn, scheinen hübsche Frauen es weniger zu kümmern. Zumindest schauten sich die Studenten unter geistigem Stress die Porträts reizvoller Frauen nicht länger an als jene von weniger attraktive­n Damen.

Und was ist daraus zu lernen? Ehefrauen, die ihren Gatten immun gegen weibliche Reize machen möchten – oder zumindest weniger anfällig dafür –, können ihrem Liebsten vor mehrtägige­n Dienstreis­en einen Packen kniffliger Rätsel mit auf den Weg geben. Sie müssen dann allerdings hoffen, dass er sie unterwegs auch fleißig löst, vor allem abends nach vollbracht­er Arbeit.

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Bild: SN/CARLACASTA­GNO - FOTOLIA Wer sich geistig anstrengt, braucht Verlockung­en nicht zu fürchten.

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