Es gibt sie noch: Zeitungsgründungen
Lebenszeichen. Während manche Prognose der gedruckten Zeitung ein baldiges Ableben voraussagt, sollen 2014 ganz altmodisch zwei Blätter in Kalifornien und Australien erstmals erscheinen – in erster Linie auf Papier.
WIEN (SN). Elektronische Weihnachten: Der deutsche Verband „Bitkom“veröffentlichte Ende November eine repräsentative Studie, derzufolge rund 23 Prozent aller Deutschen einen Tabletcomputer, gut zwölf Prozent einen E-Book-Reader zum Fest kaufen wollten; für Österreich sind ähnliche Daten anzunehmen. Immer mehr Nutzer sind also mit Endgeräten ausgestattet, die eine digitale und gleichzeitig mobile Mediennutzung zulassen. Dass die Zeitung und das Buch so gut transportabel sind, wurde als eine der letzten Bastionen der Druckwerke gesehen. Nun scheinen auch diese eingenommen.
Und doch lässt sich Print nicht unterkriegen: Ein Verleger in Melbourne und einer in Los Angeles haben – unabhängig voneinander – angekündigt, 2014 neue Zeitungen starten zu wollen. Bei vielen Branchenbeobachtern hinterlässt dieser Schritt basses Staunen. Denn viele Zeitungs- und Magazintitel der westlichen Welt stehen derzeit im Bann von Sparplänen oder der Erwartung neuer Einnahmequellen im Internet.
„Es ist auch einfacher, eine Zeitung zu gründen, als eine zu retten“, schreibt der erst 25-jährige künftige Chefredakteur von „The Saturday Paper“in einem Gastkommentar für den „Guardian“. Seine Zeitung soll im Laufe des ersten Quartals 2014 erstmals in Druck gehen und entlang der australischen Südostküste zwischen denMetropolen Sydney, Canberra und Melbourne erscheinen. Die Auflage entspricht mit angekündigten 80.000 bis 100.000 Stück etwa der der „Salzburger Nachrichten“.
Hinter der Unternehmung steht Morry Schwartz, der viel Geld mit Immobilien ver- und erspekuliert hat. „Business ist ein Glücksspiel“, sagt er, dem ein Gespür fürs richtige Timing nachgesagt wird. Seit Jahrzehnten verlegt er Bücher, 2001 gründete er den „Quarterly Essay“, der je nur aus einem einzigen, sehr langen Text besteht, 2005 ein Monatsmagazin. Setzt man die Reihe fort, folgt logisch: eine Wochen(end)zeitung.
Schwartz liebt Papier als Trägermedium, wie er in einem Interview mit dem australischen öffentlich-rechtlichen Radio vor wenigen Wochen bekennt, außerdem will er weiter zur publizistischen Vielfalt in seinem Heimatland beitragen (das auch das von Rupert Murdochs mittlerweile weltumspannendem Medienkonzern ist). All seine bisherigen Publikationen seien, sagt er, nicht nur kostendeckend, sondern werfen auch Gewinn ab – und zwar mit Journalismus in der Langform. Klatschspalten und Lokalnachrichten werde man auch im „Saturday Paper“nicht finden, so Schwartz: „Keine Trivia, keine Verkehrsunfälle.“
Blickt man von Melbourne über den Pazifik nach L. A., sieht es ganz anders aus. Auch dort will ein Verleger gegen den Trend mehr drucken, sein Ansatz aber ist „hyperlokal“: Der extreme Fokus auf das, was um die nächste Ecke der Redaktion und im weiteren Umkreis von ein paar Kilometern passiert, ist in den USA ein Trend der vergangenen Jahre. Aaron Kushner hat 2012 „The Orange County Register“gekauft und will nun als neuen Titel „The Los Angeles Register“auf den Markt bringen. Das Redaktionsteam wurde um 200 journalistische Angestellte vergrößert. Ziele Kushners sind der Aufbau und die Bewahrung einer Gemeinschaft, einer „community“, unter seinen Lesern wie seinen Anzeigenkunden. In Orange County, einem kleinen, aber ein- wohnerreichen Bezirk Südkaliforniens, unternahm sein „Register“zuletzt eine bemerkenswerte Aktion: Abonnenten hatten die Chance, eine Wohltätigkeitsorganisation ihrer Wahl mit einem Gutschein imWert von 100 Dollar zu beglücken – ein Gutschein für Inserate im „Register“, den die Abonnenten selbst deckten und so die Zeitungskassen mit Geld füllten. „Eine gewaltige Geste guten Willens. Und ein gewaltiger PRStreich“, attestierte Medienbeobachter Ken Doctor.
Bis weit in die Neunzigerjahre hinein konnten sich viele Zeitungen auf ihr lukratives Geschäftsmodell aus Verkaufs- und Anzeigenerlösen verlassen. Doch dann zogen ihnen Wirtschaftskrise und Internet den Boden unter den Druckmaschinen weg. Die klassische Zeitungsanzeige funktioniert neben einem Webartikel längst nicht so gut; ein kostenloser Onlinezugang zu den Zeitungsinhalten graben Verkaufspreis und Vertriebssystem der Printausgabe zunehmend dasWasser ab. Die Ignoranz der Branche gegenüber dem Internet wandelte sich bald in Fehleinschätzung und dann in Wut. Im angelsächsischen Raum haben die Zornigen aber begonnen, den Feind zu respektieren, wie – auf ihre je recht altmodische Art – Schwartz und Kushner, und mit ihm zu kooperieren, also die Stärken und Schwächen beider Kanäle, digital und analog, zum eigenen Nutzen gegeneinander auszuspielen. So werden auch „Saturday Paper“und „L. A. Register“nicht ohne Tablet-App und Social-Media-Präsenz auskommen – aber dessen sind sich ihre Verleger selbstbewusst bewusst.