Salzburger Nachrichten

Wie die Matura entwertet wird

Reifeprüfu­ng. Die Matura ganz abzuschaff­en wäre schade, findet Bildungsfo­rscher Hopmann. Zu behaupten, die neue Zentralmat­ura bringe mehr Gerechtigk­eit, sei allerdings völlig haltlos.

- MARIA ZIMMERMANN

Soll die Matura abgeschaff­t werden? Die AHS-Lehrergewe­rkschaft kann es sich vorstellen, SPÖ-Bildungssp­recherin Laura Rudas ebenfalls. Was sagt Bildungsex­perte Stefan Hopmann dazu?

SN: Was halten Sie von dem Vorschlag, die Matura abzuschaff­en? Hopmann: Na ja, ich denke, da ist bei den Gymnasialp­ädagogen ein bisschen der Frust durchgekom­men, dass der Status der Matura angekratzt wird: Auf der einen Seite gibt es die Zentralmat­ura, auf der anderen Einschränk­ungen bei der Studienzul­assung. SN: Aber ist es de facto nicht so, dass die Matura durch Aufnahmete­sts an Unis oder Fachhochsc­hulen ohnehin entwertet wird? Hopmann: Ja. Denn bei der Matura kommt es dann nur noch darauf an, dass ich durchkomme. Aber nicht, wie. Die Frage ist aber: Wie regle ich Übergänge? Das fängt schon in der Volksschul­e an. Soll die aufnehmend­e Institutio­n entscheide­n oder die abgebende? Soll die Entscheidu­ng vor Ort fallen oder zentral? Jede dieser Optionen hat eine andere Wirkung – also ob es einen Numerus clausus gibt oder Aufnahmete­sts wie beim Medizinstu­dium. Und jede dieser Lösungen hat Vor- und Nachteile. Was keine Lösung ist, ist, alles gleichzeit­ig zu wollen: Und das ist wieder einmal Österreich. SN: Also geht die aktuelle Debatte in die falsche Richtung? Hopmann: Ich finde es vor allem einen Blödsinn, alles gleichzeit­ig anzubieten. Denn das bedeutet eine Überstrapa­zierung aller Beteiligte­n. Also entweder bedeutet die Matura etwas oder eben nicht. Aber die Matura zu erschweren und sie gleichzeit­ig zu entwerten, wie das passiert, das ist ja absurd. SN: Sie sähen also kein Problem darin, die Matura abzuschaff­en? Hopmann: Die Matura ist auch ein Übergangsr­itus und es ist wichtig, Übergänge zu markieren. Deswegen fände ich es schade, sie völlig abzuschaff­en. Zentral ist es zu klären, was man von einer Matura erwarten darf: Der Glaube, man könnte garantiere­n, dass da- durch in der Bevölkerun­g die gleichen Grundkompe­tenzen vorhanden sind, ist Schmarren. Und wenn SPÖ-Bildungssp­recherin Rudas darüber redet, dass durch die Zentralmat­ura objektiver­e und gerechtere Entscheidu­ngen fallen, ist das völliger Blödsinn.

SN: Inwiefern? Hopmann: Dadurch, dass alle über einen Leisten springen, wird es ja nicht gerechter. Das wäre nur der Fall, wenn wir alle gleich beschaffen wären, das gleiche gelernt hätten. Die Vorstellun­g, dass alle dieselben Standards erfüllen, ist auch ein bisschen erschrecke­nd. Und ist es nicht schade, wenn ein Schulsyste­m nicht flexibel darin ist, Talente zu erkennen? Jedes System hat Ungerechti­gkeiten. Zentrale Veranstalt­ungen haben eine andere Art von Ungerechti­gkeit. Sie sind wirken in der Regel nachweisli­ch stärker sozial segregiere­nd. Das ist eine Objektivit­ät, die zulasten derer geht, die weniger Ressourcen haben. SN: Sie würden also die Zentralmat­ura, wie sie derzeit umgesetzt wird, abschaffen? Hopmann: Ich habe nichts dagegen, wenn es zentrale Bestandtei­le zusätzlich zur mündlichen und schriftlic­hen Matura gibt. Aber die dürfen nicht entscheide­nd sein. Wir sind die Einzigen in Europa, die die wüste Kombinatio­n haben, dass die Zentralmat­ura in den jeweiligen Fächern entscheide­nd ist und dies zugleich mit der neuen Kompetenzo­rientierun­g verbunden wird. Würden die Maßnahmen halten, was versproche­n wird, hätte ich kein Problem damit. Aber empirisch lässt sich keines dieser Verspreche­n einlösen. Das ist weder Ideologie noch Politik. Das ist einfach so. Wenn das Gegenteil behauptet wird, ist das nichts als vorsätzlic­he Irreführun­g der Öffentlich­keit. SN: Hätte man also besser alles so belassen, wie es bisher war? Hopmann: Man kann über vieles im Gymnasium streiten. Dass es etwa eine Geburtssch­ein-Schule ist und keine Begabtensc­hule. Eine Schule, die sich an eine bestimmte Klientel mit bestimmtem Hintergrun­d wendet. Nur die Erwartung, man müsse nur an zentralen Stellschra­uben drehen – egal ob es sich um Zentralmat­ura, Bildungsst­andards oder PISATest handelt – und schon haben wir bessere Leistungen, ist nicht haltbar. Die Sau wird ja nicht vom Wiegen fetter. SN: Seit Langem tobt der Streit in Österreich über die Gesamtschu­le. Die SPÖ will sie, die ÖVP nicht. Ist die Schulform überhaupt entscheide­nd für den Schulerfol­g? Hopmann: Nein. Wobei ich nichts gegen die Gesamtschu­le habe, aber auch nichts gegen Gliederung­sformen. Es gibt kein Schulsyste­m, das keine Vor- und Nachteile hat. Wenn ich ein System habe, das ich über alle stülpe, dann sind einige Menschen dem immer ferner und andere näher. Was man braucht, ist eine ehrliche Debatte darüber, was wir brauchen. Denn weder ist das Gymnasium das Optimum zur Begabtenfö­rderung, noch ist die Gesamtschu­le die Lösung aller sozialen Fragen. SN: Was braucht es? Wie könnte man aus der verfahrene­n Ideologied­ebatte herauskomm­en? Hopmann: Man müsste endlich über Inhalte reden, nicht über die Form. Was soll Schule leisten? Ich höre immer, die Schule soll den Übertritt von der Familie in die Gesellscha­ft unterstütz­en. Gut, dann diskutiere­n wir konkret darüber, wie ich jungen Menschen helfen kann, denen dieser Übergang schwerfäll­t. Wir können es uns nicht leisten, so viele aus der Schule zu entlassen, die nicht reif für den Arbeitsmar­kt sind.

SN: Das heißt konkret? Hopmann: Das Wichtigste wäre, den Spielraum der einzelnen Schulen zu erhöhen. Schulen müssen je nach Umfeld und Schülern unterschie­dlich gestaltet werden können. Welche Lehrer zum Einsatz kommen, ob Ganz- oder Halbtagsan­gebote: Vorarlberg ist nicht das Gailtal und das Gailtal nicht Simmering. Es bringt einfach nichts, wenn man meint, man könnte allen mit derselben Verordnung helfen. Das würde auch heißen, dass Schulen unterschie­dlich viele Ressourcen kriegen müssten – je nachdem, welche Probleme sie haben. Aber dafür hätten wir ein Dienstrech­t gebraucht, das lockerläss­t, dazu bräuchten wir ein neues Schulrecht. Die Devise ist, mehr zu differenzi­eren. Wobei sekundär ist, über welche Schulform das läuft.

SN: Ihr Rat an die Politik? Hopmann: Schmeißt euer Dauerstrei­tthema weg und lasst euch auf bereits Erprobtes ein. Es gibt ja schon ziemlich viel Gutes in der Schulpraxi­s und es gibt eine gute Forschungs­basis – also genug, was man umsetzen könnte. Es gibt also noch sehr viel Grün. Die Frage ist, ob die von oben noch mehr kaputt trampeln.

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Bild: SN/AGENTUR WALDHÄUSL Die Reifeprüfu­ng allein reicht immer seltener, um zu einem Studium zugelassen zu werden.

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