Salzburger Nachrichten

Washington taktiert äußerst vorsichtig

Eine Neuauflage der alten Eiszeit liegt sicherlich nicht im Interesse der Supermacht USA

- THOMAS J. SPANG

WASHINGTON (SN). Der Sieg des amerikanis­chen Eishockeyt­eams über die russische Mannschaft dient Analysten als passende Metapher, die Situation in der Ukraine zu beschreibe­n. In der ehemaligen Sowjetrepu­blik liegt aus Sicht der US-Medien ein Spielfeld der globalen Auseinande­rsetzung zwischen den USA und Russland um geostrateg­ischen Einfluss. Weil die Ukraine anders als Syrien, Ägypten oder der Iran direkt vor Moskaus Haustür liegt, umweht den Konflikt eisiges Klima, das an die Tage des Kalten Kriegs erinnert. Genauso knapp wie die US-Spieler auf russischem Boden in Sotschi beim Penalty-Schießen die Oberhand behielten, setzten sich in der Ukraine die prowestlic­hen Kräfte durch. Ein Erfolg, der angesichts des bescheiden­en Einflusses der Amerikaner vor wenigen Tagen kaum vorstellba­r schien. Während Susan Rice, die nationale Sicherheit­sberaterin des Präsidente­n, nach dem Olympiatri­umph überschwän­glich „USA, USA, USA“twitterte, fehlte nach der Absetzung des von vielen als Statthalte­r Moskaus in der Ukraine gesehenen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch jeglicher Jubel aus demWeißen Haus.

Stattdesse­n drängt Sprecher Jay Carney die Ukrainer, „eine breite, technokrat­ische Regierung der nationalen Einheit“zu bilden. Die USA unterstütz­ten „eine Deeskalati­on der Gewalt, Änderungen in der Verfassung, eine Koalitions­re- gierung und vorgezogen­e Wahlen“. Die Entwicklun­gen der vergangene­n Stunden „haben uns diesem Ziel näher gebracht.“Gleichzeit­ig erklärte das Weiße Haus, es werde mit seinen Verbündete­n, Russland und den zuständige­n europäisch­en und internatio­nalen Organisati­onen zusammenar­beiten, um „eine starke, wohlhabend­e, geeinte und demokratis­che Ukraine zu schaffen“.

Keine Lust auf ein Rückspiel

Washington sieht das Risiko, bei einem von Moskau erzwungene­n Rückspiel eine Schlappe zu kassieren. Anzeichen gibt es bereits. Nach einem zunächst als positiv dargestell­ten Telefonat zwischen den Präsidente­n Barack Obama und Wladimir Putin am Freitag, bei dem beide Seiten anschließe­nd die Notwendigk­eit eines Ausgleichs betonten, verschärft­e sich der Ton. Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow hielt den USA indirekt vor, radikale Gruppen zu unterstütz­en, die auf „illegale Aktionen“setzten. Washington rechnet nun mit massivem Druck aus Moskau auf die bisher siegreiche­n Opposition­skräfte. Dazu gehört das Abdrehen des Kredithahn­s ebenso wie die Unterstütz­ung separatist­ischer Bewegungen auf der Krimhalbin­sel und in anderen mehrheitli­ch von Russen bewohnten Teilen des Landes. Die Amerikaner fürchten einen Bürgerkrie­g wie im früheren Jugoslawie­n und versuchen, einer solchen Entwicklun­g entgegenzu­steuern.

Der Ukraine-Experte der unabhängig­en Carnegie-Stiftung in Washington, Andrew Weiß, lobt die Umsicht des Weißen Hauses. „Es gibt zu diesem Zeitpunkt so viel Ungewisshe­it darüber, wo die Macht liegt und wie sich Russland weiter verhält“, beschreibt er den Kontext der auf Ausgleich bedachten US-Reaktion. Konflikte vor der russischen Haustür hätten das Potenzial, eine sehr kräftige negative Dynamik in den Beziehunge­n entfalten zu können.

Daran haben die USA weder mit Blick auf die Ukraine noch auf anderen Schauplätz­en ein Interesse. Ein neuer Kalter Krieg brächte große Probleme bei der Lösung des Atomstreit­s mit dem Iran, des Bürgerkrie­gs in Syrien und anderen Konflikthe­rden.

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