Washington taktiert äußerst vorsichtig
Eine Neuauflage der alten Eiszeit liegt sicherlich nicht im Interesse der Supermacht USA
WASHINGTON (SN). Der Sieg des amerikanischen Eishockeyteams über die russische Mannschaft dient Analysten als passende Metapher, die Situation in der Ukraine zu beschreiben. In der ehemaligen Sowjetrepublik liegt aus Sicht der US-Medien ein Spielfeld der globalen Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland um geostrategischen Einfluss. Weil die Ukraine anders als Syrien, Ägypten oder der Iran direkt vor Moskaus Haustür liegt, umweht den Konflikt eisiges Klima, das an die Tage des Kalten Kriegs erinnert. Genauso knapp wie die US-Spieler auf russischem Boden in Sotschi beim Penalty-Schießen die Oberhand behielten, setzten sich in der Ukraine die prowestlichen Kräfte durch. Ein Erfolg, der angesichts des bescheidenen Einflusses der Amerikaner vor wenigen Tagen kaum vorstellbar schien. Während Susan Rice, die nationale Sicherheitsberaterin des Präsidenten, nach dem Olympiatriumph überschwänglich „USA, USA, USA“twitterte, fehlte nach der Absetzung des von vielen als Statthalter Moskaus in der Ukraine gesehenen Präsidenten Viktor Janukowitsch jeglicher Jubel aus demWeißen Haus.
Stattdessen drängt Sprecher Jay Carney die Ukrainer, „eine breite, technokratische Regierung der nationalen Einheit“zu bilden. Die USA unterstützten „eine Deeskalation der Gewalt, Änderungen in der Verfassung, eine Koalitionsre- gierung und vorgezogene Wahlen“. Die Entwicklungen der vergangenen Stunden „haben uns diesem Ziel näher gebracht.“Gleichzeitig erklärte das Weiße Haus, es werde mit seinen Verbündeten, Russland und den zuständigen europäischen und internationalen Organisationen zusammenarbeiten, um „eine starke, wohlhabende, geeinte und demokratische Ukraine zu schaffen“.
Keine Lust auf ein Rückspiel
Washington sieht das Risiko, bei einem von Moskau erzwungenen Rückspiel eine Schlappe zu kassieren. Anzeichen gibt es bereits. Nach einem zunächst als positiv dargestellten Telefonat zwischen den Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin am Freitag, bei dem beide Seiten anschließend die Notwendigkeit eines Ausgleichs betonten, verschärfte sich der Ton. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hielt den USA indirekt vor, radikale Gruppen zu unterstützen, die auf „illegale Aktionen“setzten. Washington rechnet nun mit massivem Druck aus Moskau auf die bisher siegreichen Oppositionskräfte. Dazu gehört das Abdrehen des Kredithahns ebenso wie die Unterstützung separatistischer Bewegungen auf der Krimhalbinsel und in anderen mehrheitlich von Russen bewohnten Teilen des Landes. Die Amerikaner fürchten einen Bürgerkrieg wie im früheren Jugoslawien und versuchen, einer solchen Entwicklung entgegenzusteuern.
Der Ukraine-Experte der unabhängigen Carnegie-Stiftung in Washington, Andrew Weiß, lobt die Umsicht des Weißen Hauses. „Es gibt zu diesem Zeitpunkt so viel Ungewissheit darüber, wo die Macht liegt und wie sich Russland weiter verhält“, beschreibt er den Kontext der auf Ausgleich bedachten US-Reaktion. Konflikte vor der russischen Haustür hätten das Potenzial, eine sehr kräftige negative Dynamik in den Beziehungen entfalten zu können.
Daran haben die USA weder mit Blick auf die Ukraine noch auf anderen Schauplätzen ein Interesse. Ein neuer Kalter Krieg brächte große Probleme bei der Lösung des Atomstreits mit dem Iran, des Bürgerkriegs in Syrien und anderen Konfliktherden.