Stimme aus der Vergangenheit ringt um Gehör
Comeback. Julia Timoschenko will so schnell wie möglich wieder nach der Macht greifen. Doch die Reihen ihrer Anhänger lichten sich.
KIEW, SALZBURG (SN). Julia Timoschenko feiere einen Sieg, der nicht ihr gehöre, sagen ihre Gegner. Und diese werden mehr. Längst nicht alle Aktivisten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew sind von einem Comeback der Ex-Gefangenen überzeugt.
Denn der Umsturz in der Ukraine hat neue Kräfte hervorgebracht, die ihren Anteil wollen an der Neuaufteilung der Macht. Als Timoschenko am vergangenen Wochenende im Jeep vom Flughafen zum Kiewer Zentrum gefahren wurde, hielten sie die Ordner des Maidan auf. Ihre Straßensperre galt auch für die ukrainische Ikone. „Julia Wladimirowna“, riefen die Wachen. „Sie können hier nicht einfach so durchfahren, wir haben einen offiziellen Eingang dort drüben. Das Gesetz gilt für jeden. Sie sind noch nicht einmal an der Macht und benehmen sich schon herablassend.“
Der Empfang dürfte für die 53Jährige, die am Samstagmorgen nach mehr als zwei Jahren Haft das Gefängniskrankenhaus im ostukrainischen Charkiw hatte verlassen dürfen, eher ernüchternd gewesen sein. Die Menschen reagierten verhalten, auch Buhrufe wurden laut. Mit ihrem Charisma, mit dem Timoschenko als Anführerin der demokratischen „orangen Revolution“2004 die Massen in den Bann zog, erreicht sie nicht mehr alle ihre Zuhörer.
Die Multimillionärin steht in den Augen vieler für ein korruptes System – ebenso wie der soeben aus dem Amt gehievte Ex-Präsident Viktor Janukowitsch auch. Die in der Industriestadt Dnjepropetrowsk geborene „Gasprinzessin“hat nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ein immenses Vermögen angehäuft. Politische Gegner werfen ihr undurchsichtige Geschäfte vor. Im Netz kursiert seit Sonntag ein Brief an Julia Ti- moschenko: „Wir standen nicht Ihretwegen auf dem Maidan. Wir haben nicht für Sie gekämpft. Sie sind krank, deshalb wollten Sie sich in Deutschland behandeln lassen. Fahren Sie, und danach machen Sie noch eine Kur.“„Sie können gern wiederkommen“, fährt der anonyme Autor fort. „Aber bitte erst in fünf Jahren. Jetzt müssen ein neues Staatswesen gebaut, eine Ökonomie gerettet und unpopuläre Reformen durchgesetzt werden. Da stören Ihr Charisma und Ihr Populismus nur.“Der Brief verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Der kühle Empfang hält Timoschenko aber ebenso wenig auf wie ihre angeschlagene Gesundheit. Sie will es noch einmal wissen und im Mai für das Präsidentschaftsamt in der Ukraine kandidieren. Ehrgeizig war Timoschenko immer schon. Nach Abschluss einesWirtschaftsstudiums machte sie zunächst als Unternehmerin Karriere, zuletzt als Chefin des Energiekonzerns EESU (Vereinigtes Energiesystem der Ukraine). 1999 wurde sie Vizeregierungschefin mit der Aufgabe, den korrupten Energiesektor zu reformieren. 2004 war Timoschenko eine der treibenden Kräfte der „orangen Revolution“, die Präsident Viktor Juschtschenko an die Macht brachte. In Folge war sie zwei Mal Regierungschefin, wobei die Allianz der beiden Politiker von persönlichen Machtambitionen überschattet war. Endgültig beendet war der Honeymoon 2010, nachdem Timoschenko Gaslieferverträge mit Russland im Alleingang ausgehandelt hatte. Bei den Präsidentenwahlen im selben Jahr unterlag sie dem nun abgesetzten Staatschef Viktor Janukowitsch. 2011 wurde Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung von Staatsgeldern in einem international kritisierten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Julia Timoschenko: kämpferisch und gezeichnet von der Haft.