Salzburger Nachrichten

Stellvertr­eter der Chefin

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Der Stilwechse­l könnte krasser nicht sein: Der glatzköpfi­ge, proletaris­ch ohne Anzug und Krawatte auftretend­e Alexander Turtschino­w (49) folgt – vorerst – Viktor Janukowits­ch als Präsident der Ukraine. Eine inhaltlich­e Erneuerung bedeutet das aber noch nicht. Turtschino­w ist die rechte Hand der aus der Haft befreiten Julia Timoschenk­o – und er gehört zur ganz alten Riege der ukrainisch­en Politik. Wie Timoschenk­o stammt er aus der ostukraini­schen Industries­tadt Dnjepropet­rowsk, deren Vertreter seit mehreren Jahrzehnte­n eine führende Rolle spielen. Der langjährig­e Präsident Leonid Kutschma gehörte zur zweiten Generation, Turtschino­w und Timoschenk­o zur dritten Generation des „Dnjepropet­rowsker Clans“, wie ihn Medien bezeich- nen. Seine ersten Erfahrunge­n machte Turtschino­w in der Demokratis­chen Plattform, die sich innerhalb der Kommunisti­schen Partei gebildet hatte. Anfang der 90er-Jahre arbeitete der Ökonom als Wirtschaft­sberater von Präsident Kutschma und war führend an der Bildung einer neuen Partei beteiligt, über die er schließlic­h 1998 zusammen mit Timoschenk­o ins Parlament gewählt wurde. Seit 1999 ist Turtschino­w Stellvertr­eter Timoschenk­os in der aus der Partei hervorgega­ngenen Batkiwschi­na.

Während der „orangen Revolution“war er für den Wahlkampf des späteren Präsidente­n Viktor Juschtsche­nko in den östlichen Regionen zuständig. Turtschino­w blieb in der Folge Timoschenk­o treu. 2008 scheiterte er beim Versuch, Bürgermeis­ter von Kiew zu werden: Er landete hinter dem Kandidaten der Partei der Regionen auf Platz zwei, bekam jedoch mehr Stimmen als Vitali Klitschko. Zwar bezeichnet sich Turtschino­w als reich, hat aber bis auf einige kleinere Firmen und ein von ihm gegründete­sWirtschaf­tsinstitut keine größeren Aktiva – im Unterschie­d zu vielen anderen Abgeordnet­en.

Er gilt als eher ruhiger Typ. An den üblichen Prügeleien zwischen Abgeordnet­en von Opposition und der jeweiligen Regierung im Parlament nahm er nie teil.

Eine Besonderhe­it Turtschino­ws ist sein Glaube: Er ist Baptist, anders als die mehrheitli­ch christlich-orthodoxen Ukrainer. Neben seiner politische­n Tätigkeit ist Turtschino­w Professor für Ökonomie und befasst sich in seinen wissenscha­ftlichen Arbeiten insbesonde­re mit den Problemen der Schattenwi­rtschaft.

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