Die Freizügigkeit oder „Wenn der Inspektor zehn Mal klingelt“
Innerhalb von vier Monaten kann sich die Diskussion um die Mobilität von Arbeitskräften in der EU drastisch ändern. Denwohnsitz in der EU zu ändern kann mitunter genauso lang dauern.
Das bestimmende Thema in Brüssel war in der letzten Oktoberwoche ein im Grunde ganz banales: Plastiksackerl. Dahinter verbarg sich die weniger banale Debatte darüber, was die EU eigentlich regulieren soll und was nicht. Im Fall derMobilität von Arbeitskräften hat diese Diskussion seither eine Kehrtwende gemacht. Im Herbst wurde überlegt, wie die Mobilität zu fördern wäre, welche Vorteile sie für Jobsuchende hat und was man unternehmen könnte, um denWechsel in einen anderen Mitgliedsstaat unbürokratischer zu gestalten.
Jetzt steht das ganze Prinzip der uneingeschränktenMobilität plötzlich infrage. Es wird nicht mehr diskutiert, welcheMaßnahmen es braucht, um sie zu erleichtern, sondern ob die Staaten Maßnahmen erlassen dürfen, um sie zu beschränken. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter den sperrigen Begriffen „Arbeitnehmerfreizügigkeit“oder „freier Personenverkehr“?
Es bedeutet, dass EU-Bürger in jedem Mitgliedsland arbeiten dürfen.
Arbeiten, und damit natürlich auch wohnen und leben.
Der Anflug einer Ahnung, mit welch bürokratischem Abenteuer das verbunden sein könnte, keimte bei Ihrer Korrespondentin schon beim Abmelden in der österreichischen Heimatgemeinde auf. Ein ausländischer Mitbürger, sein Deutsch reichte für Amtsgeschäfte noch nicht aus, wollte da gerade seinen Wohnsitz anmelden. Seinem auf Englisch vorgetragenen Anliegen wurde in bestemWienerisch nachgekommen. Er irrt wahrscheinlich heute noch im Amtshaus umher.
DenWunsch des Mannes – einfach nur denWohnsitz anmelden – kann ich nach vier Monaten und gefühlten zwanzig Terminen bei der Gemeinde in Brüssel nachvollziehen. Schauplatz: ein Polizeirevier. Der Uniformierte ist verärgert. Schon zehn Mal habe er bei meiner Wohnung geläutet, ohne Erfolg. Der Antrag auf Anmeldung desWohnsitzes wurde daher abgelehnt, offensichtlich wohnt ja dort auch niemand.
Eine halbstündige Diskussion und zwei weitere Termine später ist es doch geglückt: Anmeldung und Ausstellung der Identitätskarte sind abgeschlossen, man darf sich offiziell zu den EU-Ausländern im Land zählen. Sie machen in Belgien rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Spitzenreiter beim Anteil der EU-Ausländer ist Luxemburg. Das bringt natürlich auch Probleme, in Brüssel wie in Luxemburg vor allem durch die gestiegenen Mietpreise. In Summe würde aber wohl weder Belgien noch Luxemburg infrage stellen, dass die wirtschaftlichen Vorteile bei Weitem überwiegen.
Die Bevölkerung ist dennoch skeptisch. In der Schweiz ebenso wie in den Staaten der Europäischen Union. Das wird sich nicht ändern, wenn nur immer wieder die wirtschaftlichen Vorteile der Freizügigkeit heruntergebetet werden. Die Politiker müssen auch Lösungen von Problemen anbieten, die durch die Zuwanderung entstehen. So wie Österreich sein Sozialsystem auf die Öffnung des Arbeitsmarktes vorbereitet hat. Nur dann kann die Diskussion erneut eine Wende nehmen.