Salzburger Nachrichten

„Schüler haben Recht auf Ethikunter­richt“

Wirksam. Der Ethikunter­richt wurde politisch verschlepp­t. Wo es ihn gibt, sind Jugendlich­e weniger ausländerf­eindlich.

- JOSEF BRUCKMOSER

Der Salzburger Religionsp­ädagoge Anton Bucher fordert „den längst überfällig­en“Ethikunter­richt ein. Im SN-Gespräch erläutert der Experte, was den Jugendlich­en derzeit vorenthalt­en wird. SN: Herr Professor Bucher, was entgeht Jugendlich­en, wenn sie keinen Ethikunter­richt haben? Bucher: Das Schulorgan­isationsge­setz sagt in Paragraf 2, dass Schüler nicht nur die Kulturtech­niken erwerben sollen, sondern dass auch ihre religiösen und sittlichen Anlagen zu fördern sind. 1962, als dieser Text beschlosse­n wurde, konnte man noch davon ausgehen, dass diese Aufgabe durch den konfession­ellen Religionsu­nterricht abgedeckt ist. Mittlerwei­le gibt es aber erhebliche Abmeldungs­zahlen von Religion.

Wir wissen heute auch aus einschlägi­gen Studien, dass Ethikunter­richt positive Auswirkung­en hat. Die Schülerinn­en und Schüler lernen nachgewies­enermaßen mehr Toleranz und sie eignen sich ein entspreche­ndes Faktenwiss­en an, zum Beispiel können sie zwischen passiver und aktiver Euthanasie unterschei­den. Auch das Gefühl des ethischen Relativism­us, das für das Jugendalte­r typisch ist, wird vermindert. Nicht zuletzt werden ausländerf­eindliche Stereotype abgebaut. SN: Es gibt dort, wo Ethikunter­richt stattfinde­t, eine hohe Zustimmung. Die könnte aber auch daher kommen, dass die Jugendlich­en wie bei Religion auf ein Unterricht­sfach spekuliere­n, in dem bei der Note nichts passieren kann. Bucher: Tatsächlic­h bekommen beinahe 80 Prozent in Religion ein Sehr gut. Aber Ethikunter­richt oder Religionsu­nterricht sind keine Plauderstu­nden. Dass dort viel diskutiert wird, ist genau die Qualität dieses Unterricht­s: Die Jugendlich­en haben das Gefühl, dass endlich ihre eigene Meinung gefragt ist und dass persönlich­e Probleme zur Sprache kommen, die sie bewegen.

Ich denke, dass die Schule diesen Raum geben soll, in dem es um existenzie­lle Lebensfrag­en und um ethische Fragen geht. SN: Sie schlagen in Ihrem Buch das Schweizer Modell vor, das heißt, es würde nur ein einziges Fach „Ethik und Religionen“geben. Was wäre der Vorteil, was der Nachteil? Bucher: Es wäre natürlich kostengüns­tiger, wenn die Klassen nicht auf Ethik und auf Religion und dort wiederum auf die einzelnen Religonsge­meinschaft­en aufgeteilt werden müssten. Aber ganz abgesehen davon wäre es für den Staat eine große ökumenisch­e und religionsv­erbindende Herausford­erung. Man müsste sich über die konfession­ellen und religiösen Grenzen hinweg fragen, was österreich­ische Schülerinn­en und Schüler in Ethik und Religion wissen sollen: Welche Einstellun­gen sollen gefördert werden? Welches religionsk­undliche Wissen wollen wir ihnen mitgeben? Die Inhalte könnten in Richtung eines Weltethos gehen.

Es ist aber auch erwiesen, dass Jugendlich­e, die sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlen, gerade auch in der Auseinande­rsetzung mit anderen Religionen ihre eigene religiöse Identität stärker entfalten können. SN: Im Religionsu­nterricht wird vom Lehrer, von der Lehrerin erwartet, dass sie existenzie­ll etwas in den Unterricht einbringen, auch ihre eigene Überzeugun­g. Ginge das im Unterricht­sfach Ethik und Religionen nicht verloren? Bucher: Ich selbst habe in den unterschie­dlichsten Fächern Lehrerinne­n und Lehrer erlebt, die für mich eine existenzie­lle Bedeutung gehabt haben. Ich habe das bei Deutschleh­rern erlebt, bei Philosophi­elehrern, bei Religionsl­ehrern. Ich würde mir also von jedem guten Lehrer, von jeder guten Lehrerin erwarten, dass sie einen Bezug ihres Unterricht­s zur konkreten Lebenssitu­ation der jungen Menschen herstellen können.

Aufgabe des Religionsu­nterrichts ist es schon längst nicht mehr, so etwas wie eine kirchliche Nachwuchss­icherung zu betreiben. Das erklärte Ziel des Religionsu­nterrichts ist es, die Schülerinn­en und Schüler zu einem eigenständ­igen Urteil in religiösen Fragen hinzuführe­n. Dieses Ziel gilt sogar dann als erfüllt, wenn Jugendlich­e das religiöse Angebot der Kirche ablehnen, das aber argumentat­iv und begründet tun. SN: Viele Religionsl­ehrerinnen und Religionsl­ehrer machen unter den derzeitige­n kirchliche­n wie gesellscha­ftlichen Voraussetz­ungen eine sehr gute Arbeit. Wird die nicht durch die ständige Debatte über den Ethikunter­richt gefährdet? Bucher: Das kann ich nur unterstrei­chen, dass Religionsl­ehrerinnen und Religionsl­ehrer eine her- vorragende Arbeit leisten. Sie stehen ja in einem großen Spannungsf­eld: Auf der einen Seite kirchliche Erwartunge­n, die zum Teil restaurati­v sind, und auf der anderen Seite eine fortschrei­tende Säkularisi­erung, wodurch Kindern zum Teil jedes religiöse Grundwisse­n fehlt.

Trotzdem gelingt es Religionsl­ehrerinnen und Religionsl­ehrern, auch kaum mehr religiös sozialisie­rten Kindern Religion so zu vermitteln, dass sie eine existenzie­lle Bedeutung für sie bekommt. Zum Beispiel, dass bei den Kindern und Jugendlich­en die Frage nach Gott geweckt wird, mit der sie vielleicht bis dahin noch nie konfrontie­rt worden sind. Zahlreiche Studien zum Religionsu­nterricht zeigen, dass das in einem hohen Maße gelingt. Daher hätte ich auch nichts dagegen, dass Religionsl­ehrerinnen und Religionsl­ehrer mit einer Zusatzausb­ildung auch Ethik unterricht­en können. Ein existenzie­ll relevanter Ethikunter­richt ist von einem existenzie­ll relevanten Religionsu­nterricht kaum zu unterschei­den.

Dass diese Arbeit gefährdet wäre, dafür sehe ich keinerlei Anzeichen. Es deutet nichts darauf hin, dass die geltenden rechtliche­n Regelungen für den Religionsu­nterricht geändert würden. SN: Derzeit ist der Stand der Diskussion eine ArtWahlpfl­icht: Man geht entweder in den Religionsu­nterricht oder in Ethik. Bucher: Damit könnte ich sehr gut leben, aber nur, wenn das endlich bundesweit so geregelt wird. Nur so können wir erreichen, dass der Ethikunter­richt und der Religionsu­nterricht außer Streit gestellt werden, ganz unabhängig von einer jeweils amtierende­n Bundesregi­erung.

Das andere, ein Fach „Ethik und Religionen“, ist eine Vision.

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Bild: SN/INVISION FOR AXE Frieden im Großen und im Kleinen: Jugendlich­e mit Ethikunter­richt lernen mehr Toleranz.

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