Arbeitslose proben den Aufstand
Systemkritik. Nicht alle Betroffenen sind damit zufrieden, wie das Arbeitsmarktservice mit ihnen umgeht. Aber nur wenige wehren sich. Wie berechtigt der Widerstand ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
WIEN (SN). Sie nennen sich „Aktive Arbeitslose“, „AMSAND“, „ZumAlten-Eisen“, „SoNed“, „AMSEL“(Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen) oder „AhA–Arbeitslose helfen Arbeitslosen“. Was die Vereine und Initiativen verbindet: Dahinter stehen Menschen, die lang arbeitslos sind oder waren, die mit bestimmten Methoden des Arbeitsmarktservice ( AMS) oder den dahinterstehenden Gesetzen nicht einverstanden sind und die sich nun dagegen zu wehren versuchen.
Die Herangehensweisen sind dabei sehr unterschiedlich. Susanne Stockinger (63), Mitbegründerin von AhA geht pragmatisch an die Probleme heran. Der Verein mit Sitz in Linz kümmert sich um ältere Arbeitslose. „Die sind oft total frustriert, gehen aber nicht nach außen“, erzählt sie. Stockinger, die nach sieben Jahren Arbeitslosigkeit vorzeitig in Pension gehen konnte (wegen schwerer Sehbeeinträchtigung und weil sie Witwe und vierfache Mutter ist), versucht in Gesprächen und durch gemeinsame Besuche beim AMS, die Betroffenen davon abzuhalten, auf ihre Ansprüche zu verzichten.
Martin Mair geht es um Grundsätzlicheres. Er kämpft als Obmann des Vereins Aktive Arbeitslose etwa für „ein Ende der strukturellen Gewalt durch menschenrechtswidrige AMS-Sanktionen“. Der 50-jährige Publizist und Techniker, der wegen einer posttraumatischen Leistungsstörung um eine Invaliditätspension angesucht hat, wirft dem AMS vor, willkürlich Arbeitslosengeld zu sperren und der Politik, die Lage schönzureden. Er hat internationale Studien gesammelt, wonach Bezugssperren des Arbeitslosengelds mehr schaden als nützen, hat ein „Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose“geschrieben. Auch er berät Betroffene, vor allem darüber, wie sie sich gegen AMS-Sanktionen wehren können.
„Beim AMS werden die Leute nur über ihre Pflichten aufgeklärt, nicht aber über ihre Rechte“, meint Mair, der selbst um die Jahrtausendwende den Job verloren und zwischenzeitlich fertig studiert hat. Daher – aber auch weil es keine Verfahrenshilfen gebe – beschreite kaum jemand den Rechtsweg, sagt er. Als Abhilfe fordern die „aktiven Arbeitslosen“beispielsweise eine Verlängerung der Berufungsfrist von zwei Wochen auf drei Monate und eine Arbeitslosenanwaltschaft.
Ideen hätte Mair auch zur Verbesserung der häufig kritisierten Kurspraxis des AMS: Ein Weiterbildungsscheck, mit dem die Arbeitslosen selbst die für sie passende Fortbildung auswählen könnten, anstatt in die en gros zugekauften Kurse geschickt zu werden. „Es ist ja auch für die Trainer nicht befriedigend, wenn die Leute zusammengewürfelt und nicht motiviert sind“, sagt er.
Dass im Umgang mit Arbeitslosen einiges im Argen liegt, weiß auch die frühere Chefsekretärin Stockinger. Für politische Forderungen „brauchen wir aber mehr, die sich wehren“, sagt sie. Angesichts der Abhängigkeit der meisten Betroffenen von den AMSZahlungen oder auch aus Scham, wagten es nur ein paar Handvoll in ganz Österreich, ihre Geschichte offen zu erzählen. Gerade Ältere würden vieles runterschlucken und Kurse auch dann mit „gut“bewerten, wenn der Trainer tagelang nicht da war. Auch sie fordert „ein bisserl mehr Freiwilligkeit“und mehr Transparenz bei der Kurszuteilung und spezielle Lösungen für ältere Arbeitslose, die keine Chance hätten, je wieder einen Job zu bekommen.
Im AMS sind die aufmüpfigen Arbeitslosen seit Jahren bekannt. „Arbeitsloseninitiativen erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Funktion, nämlich etwaige Prob- leme und Missstände aufzuzeigen“, sagt Sprecherin Beate Sprenger. Daher begrüße man sie. Die Aufgabe des AMS sei es aber, Arbeitslose bei der raschen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen und damit Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. „In Ruhe Arbeitslosengeld zu beziehen, ohne aktive Maßnahmen der Jobsuche zu setzen, steht nicht im AMS-Angebot“, betont Sprenger. In dieser Hinsicht könne es „manchmal zu Auffassungsunterschieden mit einzelnen wenigen Arbeitsloseninitiativen kommen“.
Skeptisch sieht sie den Vorschlag eines Bildungsschecks für Arbeitslose. Das AMS gehe zwar auf individuelle Ideen ein und habe im Vorjahr 55.000 Ausbildungen und Kurse außerhalb des Programms bezahlt. Schulungen seien nicht dazu da, Hobbys zu unterstützen. Sie müssten eine Chance auf einen Arbeitsplatz bringen.