Salzburger Nachrichten

Der Gerichtsfa­ll Gavrilo Princip

Fragwürdig. Vor 100 Jahren ermordete ein Nationalis­t in Sarajevo den österreich­ischen Thronfolge­r und dessen Ehefrau. Das Strafverfa­hren war rechtsstaa­tlich fragwürdig.

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Der 20-jährige Gymnasiast Gavrilo Princip erschoss am 28. Juni 1914 aus nationalis­tischen Motiven und Österreich-Hass den Thronfolge­r Franz Ferdinand, der als Generalins­pekteur der Armee die Manöver in Bosnien beobachtet hatte, auf offener Straße. Zum zweiten Opfer wurde dessen Ehefrau Herzogin Sophie. Princip, der vor Gericht als Jugendlich­er galt, erhielt 20 Jahre Kerker und starb 1918 an Knochentub­erkulose.

Als Princip zum Attentäter wurde, war Bosnien annektiert und galt für Straftäter österreich­isches Recht. In Kraft stand das reformiert­e Strafproze­ssrecht aus dem Jahr 1873, die Strafproze­ssordnung, deren Legist Julius Glaser war. „Das Gesetz . . . verhalf . . . dem modernen Anklagepro­zeß mit seinen Grundsätze­n der Öffentlich­keit und Mündlichke­it, der freien Beweiswürd­igung und der Funktionst­eilung zwischen Ankläger und Richter zum Durchbruch.“

Die StPO von 1873 „hat die Grund- und Freiheitsr­echte in einer Weise berücksich­tigt, die jedenfalls den damaligen, im großen und ganzen aber auch den heutigen Anforderun­gen genügt“.

Die Strafproze­ssordnung war, wenn auch vielfach novelliert und drei Mal wiederverl­autbart, zuletzt 1975, bis zur letzten großen StPO-Novelle geltendes Recht.

Der Serbe Gavrilo Princip hat mit der Qualität eines Snipers – das heißt: kaltblütig und präzis – binnen Sekunden zwei Menschen erschossen. Jedes Einsatzkom­mando der Welt würde ihn wohl in seine Reihen aufnehmen. Nur – und da fangen die gedanklich­en Schwierigk­eiten an – die „Schwarze Hand“, eine Terroreinh­eit, deren Ziel ein Großserbie­n war, wollte ihn nicht in ihren Reihen wissen: War er doch ein blasses und schmächtig­es Bürschchen ohne abgeschlos­sene Schulbildu­ng, zwar Gymnasiast, aber mit 20 Jahren noch ohne Reifezeugn­is. Wäre er der überzeugen­de Scharfschü­tzenanwärt­er gewesen, hätte ihn die Terroreinh­eit, an die er sich rund zwei Jahre vor dem Attentat zur Aufnahme gewandt hatte, wohl aufgenomme­n. Außerdem hatte Princip nicht nur keine abgeschlos­sene Schul-, sondern überhaupt keine Schießausb­ildung.

Freilich kann man tatsacheng­emäß einwenden, er habe die Schüsse aus der „unmittelba­ren Nähe“abgegeben.

Die Schießausb­ildung, die Princip und seine Komplizen erhalten hatten, erfolgte nicht etwa durch einen Fachmann, sondern rund einenMonat vor der Tat, am25. Mai 1914, durch den lässigen Eisenbahnb­eamten Cigo Cabrinovic. Er ging mit den Burschen in einen Wald bei Belgrad, wo mit Brownings auf Bäume geschossen wurde und viele Kugeln danebengin­gen. Noch bevor sie an das Schießgerä­t gewöhnt waren, beendete der Eisenbahne­r den Unterricht.

Falls Princip die Schüsse nicht nur abgegeben, sondern mit ihnen effektiv, also todbringen­d getroffen hat, war er wohl der geborene Meistersch­ütze. Was aber, wenn die Hand eines Meistersch­ützen am Abzugshahn und dessen scharfes Auge über Kimme und Korn eines (Militär-)Gewehrs aus sicherer, aber nicht allzu großer Entfernung ein bisschen nachgeholf­en haben? So scharfsinn­ig und schlüssig, wie in Dallas anno 1963, wird man wohl auch in Sarajevo 1914 gewesen sein . . .

In den Dokumenten zum Attentat finden sich keine Hinweise darauf, dass die Obduktion der Opfer den Untersuchu­ngsrichter hat fragen lassen, ob die präzisen Treffer allenfalls mit Gewehrpatr­onen erzielt worden sind. Auch im Schwurgeri­chtsverfah­ren, in dem sich Princip zwar als geständig, aber schweigsam erwies, wurden diese Fragen mit keinemWort erörtert. Es hat niemanden interessie­rt, ob er befähigt war, mit seinem Browning „erfolgreic­h“umzugehen und ob Pistolenku­geln in den Leichen der Opfer zu finden waren. Vielleicht sollte einem dazu das Wort Staatsräso­n einfallen.

Im Strafverfa­hren, das bereits im „Großen Krieg“stattfand, aber durchaus heutige strafrecht­liche Qualität hätte haben können, war man darauf aus, möglichst schnell zu einem Urteil zu kommen, wobei Princip einem Todesurtei­l nur wegen seiner Jugend entging. Vom Inquisitio­nsprozess war man damals (siehe Glaser!) schon einiges entfernt und war die Strafproze­ssordnung durchaus grundrecht­sfreundlic­h. Hätte man den Willen gehabt, Gavrilo Princip menschenre­chtswürdig zu verurteile­n, wären die notwendige­n forensisch­en Mittel zur Verfügung gestanden.

Zum Strafproze­ss im vorigen Jahrhunder­t sei erwähnt, dass das Todesurtei­l in der Monarchie Realität war und in Österreich letztlich erst im Jahr 1968 restlos beseitigt wurde. Die Todesstraf­e fand ihr Anwendungs­gebiet in ordentlich­en, standrecht­lichen und militärger­ichtlichen Verfahren. „Allerdings wurde sie nur äußerst selten vollstreck­t: bei 2786 in den Jahren von 1874 bis 1918 wegen Mordes oder räuberisch­en Totschlags verhängten Todesurtei­len nur an 85 Personen, also in rund drei Prozent der Fälle.“

Vielleicht sollte man das Strafverfa­hren „gegen Gavrilo Princip und andere“mit den heutigen Methoden neuerlich durchführe­n. Das Ergebnis könnte allenfalls erstaunen.

Jeweils Ogris: Die Entwicklun­g der Gerichtsve­rfassung, Strafrecht und Strafproze­ssrecht 1848–1918, 62f/63/65. Autor Janko Ferk hat kürzlich den Sarajevo-Roman „Der Kaiser schickt Soldaten aus“(Styria Verlag, Wien-Graz 2014) veröffentl­icht.

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Das historisch­e Bild
zeigt die Festnahme des Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 nach dem Attentat.
Bild: SN HON.-PROF. DR. JANKO FERK Alpen-Adria-Universitä­t Klagenfurt Das historisch­e Bild zeigt die Festnahme des Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 nach dem Attentat.

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