„Jeder Tag ist schön“: Älteste Kz-überlebende tot
Leben. Sie wurde 110 und die Musik rettete sie im KZ. Der Film ihres Lebens ist für den Oscar nominiert.
LONDON (SN, dpa). „Jeder Tag im Leben ist schön – jeder Tag ist schön“– das Lebensmotto von Alice Herz-Sommer hat sie 110 Jahre alt werden lassen. Die kleine Frau mit Wahlheimat in London ist damit zur vermutlich ältesten Frau geworden, die von den Nationalsozialisten in ein Vernichtungslager geworfen wurde und den Holocaust überlebt hat.
Am Sonntagmorgen starb HerzSommer in London. Sie sei „friedlich eingeschlafen“, sagte ihr Enkelsohn. Die Familie war bei ihr.
Alice Herz-Sommer war am 26. November 1903 in Prag mit ihrer Zwillingsschwester als Tochter eines jüdischen Unternehmerehepaares geboren worden. Früh wurde die spätere Meister-Pianistin von ihren Eltern an die Musik herangeführt. Zu den Freunden der Familie gehörten Sigmund Freud und Schriftsteller Franz Kafka, mit dem die junge Alice lange Spaziergänge unternommen hatte. „Er hatte schöne braune Augen“, sagte sie einst.
1943 wurde Alice Herz-Sommer mit ihrem Mann Leopold Sommer in ein Konzentrationslager gesteckt. Dass sie eine gefragte Konzertpianistin war, mag der damals 40-Jährigen das Leben im Lager Theresienstadt gerettet haben. „Da gibt es nur ein Wort der Erklärung – die Musik“, sagte sie einmal auf die Frage, wie sie das KZ überlebt habe.
Die Nazis ließen ausgebildete Musiker vor den Häftlingen spielen, um der Öffentlichkeit das Bild einer heilen Welt vorzugaukeln. Die Musiker wurden dafür nicht in andere Vernichtungslager deportiert. Ehemann Leopold starb dagegen nach einer Odyssee durch mehrere Konzentrationslager 1945 in Flossenbürg.
Nach der Befreiung Theresienstadts zog Alice Herz-Sommer mit ihrem Sohn Rafael zunächst nach Israel und nahm dort die Staatsbürgerschaft an. 1986 zog sie ih- rem Sohn, inzwischen ein gefragter Cellist, nach London nach. Seit dessen Tod 2001 lebte sie dort allein in ihrer Wohnung und machte vor allem eines – Musik. Klavier konnte sie zuletzt nur noch mit acht Fingern spielen.
Der Dokumentar-Kurzfilm „The Lady in Number Six“beschreibt das bewegte und teils schmerzvolle Leben Herz-Sommers. Er ist für die diesjährigen Oscars nominiert. Es ist wohl eine letzte Pikanterie ihres Schicksals, dass sie eine Woche vor der Preisverleihung gestorben ist.