Der Smog raubt Chinesen den Atem
500.000 Menschen sollen pro Jahr daran sterben. Immer mehr verzweifeln: „Ich will nur noch weg“
PEKING (SN, dpa). Husten, entzündete Augen und Kreislaufschwäche – die Bewohner im Norden und Osten Chinas kämpfen mit den Folgen der schweren Smogbelastung. Insgesamt 15 Prozent des Landes sind inzwischen betroffen. In Peking wurde am Montag den vierten Tag in Folge die zweithöchste Alarmstufe „Orange“ausgerufen. Die Schadstoffbelastung verharrte auf einem „gefährlich“hohen Niveau, warnten die Behörden. Besonders für ältere Menschen und Kinder ist die Luftverschmutzung gefährlich. Das Gesundheitsamt in Peking forderte die Betroffenen auf, in ihren Häusern zu bleiben, bis sich die Situation verbessert. Alle 20 Millionen Einwohner der Hauptstadt sollten sich mit Atemmasken schützen, wenn sie nach draußen müssen.
In Peking haben Ärzte alle Hände voll zu tun. Die Zahl der Patienten mit Atemwegsproblemen oder Augenreizungen steigt rasant. Sie habe sich seit Donnerstag verdoppelt, berichtete das Staatsradio. Die Belastung mit dem besonders gefährlichen Feinstaub mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) lag am Montag bei dem Zwölf- bis 16-Fachen des von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Grenzwertes.
„Es ist schrecklich“, sagt die 34jährige He Zhiping. Ihre Augen hätten sich durch die dreckige Luft entzündet. Sie sei zum Arzt gegangen und habe sich am Montag krankgemeldet. „Meine Augen brennen. Ich will nicht vor die Tür gehen, sonst wird es noch schlimmer.“Früher habe sie immer das Gefühl gehabt, dass die Luftverschmutzung vielleicht gar nicht so stark sei, sagt die Angestellte. „Aber jetzt wird mir klar, wie meine Organe und die ganze Gesundheit darunter leiden.“
Die langfristigen Folgen der hohen Schadstoffbelastung sind fatal. In einer aktuellen Studie schätzt der ehemalige chinesische Gesundheitsminister Chen Zhu, dass jedes Jahr zwischen 350.000 und 500.000 Chinesen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung sterben. Noch weiter geht eine frühere Untersuchung: Darin wird geschätzt, dass allein 2010 rund 1,2 Millionen Menschen in China durch die Folgen des Feinstaubs ums Leben kamen. „Wir haben viel mehr Patienten“, berichtet eine Mitarbeiterin in einem Spital in Peking.
Als Reaktion auf den Smog wurde in der Stadt Shijiazhuang in der um Peking herum liegenden Provinz Hebei am Sonntag vorerst je nach Endziffer des Nummernschildes ein Fünftel der Autos von der Straße genommen. Mehrere Betriebe der Stahlindustrie mussten schließen. Auch in Peking wurden 36 Unternehmen geschlossen, während 75 die Produktion drosseln mussten. Den Bewohnern geht das nicht weit genug. Sie verstehen nicht, warum nicht von „Orange“auf „Rot“umgeschaltet wird. „Wir haben alle Angst, was mit uns passiert“, sagt die 28-jährige Zhang Li. „Die Behörden wollen einfach nicht die höchste Stufe ausrufen.“Vielleicht wolle niemand die Verantwortung übernehmen, wenn die Metropole zum Stillstand komme.
Zhang Li hat sich über das Internet in Singapur eine Atemschutzmaske bestellt. „Ich traue den chinesischen Masken nicht.“Überall auf den Straßen tragen die Menschen einen Mundschutz. Läufer des Umweltlaufs am Sonntag trugen auch Mundschutz und einige sogar Gasmasken.
Das Handy hat eine wichtige Rolle eingenommen. Nervös blicken viele Pekinger immer wieder auf ihr Smartphone, umdie neuesten Schadstoffwerte abzulesen. Dann entscheiden sie erst, was sie als Nächstes tun. „Wenn es schlimm ist, gehe ich nicht vor die Tür“, sagt die 29-jährige Bao Weihui. Sie leidet auch unter einer Augeninfektion. „Ich denke darüber nach, Peking zu verlassen“, sagt die 29-Jährige. „Ich will weg, am liebsten ins Ausland.“