Die Sänger des Dschungels sterben aus
Lemuren. Wenn nicht sofort gehandelt wird, riskiert die Menschheit den Verlust einer ganzen Unterordnung ihrer Verwandtschaft.
WIEN (SN). Madagaskar, die tropische Insel vor der Ostküste Mosambiks im Indischen Ozean, ist die Heimat der Lemuren. Dort leben mehr als 100 verschiedene Arten, vom Mausmaki angefangen, der nicht mehr als 30 Gramm auf die Waage bringt, bis hin zum Indri, der größten Lemurenart, die gute zehn Kilogramm wiegt und den Madagassen heilig ist. Die vielen verschiedenen Lemurenarten sind jetzt massiv vom Aussterben bedroht. Ursachen dafür sind vor allem die illegalen Abholzungen der Dschungelgebiete, vor allem im Norden der riesigen Insel.
Lemuren sind Halbaffen und zählen zu den Primaten. Sie sind sehr klug und leben in starken sozialen Gruppen. Die meisten von ihnen haben farbenprächtige Felle und sie sind ausgezeichnete Sänger. Ihre lang gezogenen, durchdringend lauten, manchmal sogar im Duett gesungenen Gesänge sind typisch für eine madagassische Nacht. Der Name der Tiere leitet sich von den Lemuren, den römischen Totengeistern, ab und spielt auf ihre fast ausschließlich nächtliche Lebensweise an. Und auch auf ihre Glotzaugen und ihre markanten Gesichtszeichnungen, die an Totenschädel erinnern.
Zuletzt haben der illegale Holzeinschlag und Brandrodungen auf der Insel verheerend zugenommen. Die Lemuren werden getötet, gejagt oder kommen in den Flammen um. Laut Naturschutzorganisation der Vereinten Nationen IUCN sind 22 Lemurenarten vom Aussterben bedroht, 48 stark gefährdet und 20 gefährdet. Damit stehen 94 Prozent der weltweiten Lemurenpopulation auf der Roten Liste.
Deshalb schlagen jetzt Forscher Alarm, unter anderem auch die Wissenschafter der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Mit einem Drei-Jahres-Aktionsplan der IUCN sollen die Lemuren vor dem Aussterben gerettet werden. Die Wiener Forscher erklären, wie: Die Lemuren nehmen auf Madagaskar eine wichtige ökologische, aber auch wirtschaftliche Rolle ein. Sie verteilen Samen in Madagaskars Wäldern und sichern so die Artenvielfalt. Ihr Ver- lust würde eine ganze Kaskade des Aussterbens anderer Tierarten auslösen. Lemuren ziehen aber auch Touristen an, die auf der Insel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden sind. Genau auf den Tourismus setzt man auch in Zukunft. Denn nur wenn es sich für die durchwegs sehr arme Bevölkerung auszahlt, die Tiere zu schützen, weil dadurch der Tourismus floriert, kann den Tieren – im günstigen Fall – damit geholfen werden. Daher setzen die For- scher auf verbesserte Managements der Naturschutzzonen auf der Insel.
Obwohl Madagaskar vor der Küste Ostafrikas, der vermuteten Wiege der Menschheit, liegt, ist die riesige Insel – nach Indonesien die zweitgrößte im Indischen Ozean – einer der letzten Teile der Erde, die durch den Menschen besiedelt wurden. Konservative Schätzungen datieren erste menschliche Präsenz auf der Insel um das Jahr 350 vor Christus.
Einige Lemurenarten haben ihren Niederschlag in madagassischen Kulturen gefunden. Indris galten als heilige Tiere, die die Sonne verehren – sie sind häufig beim Sonnenbaden zu beobachten. Seitdem die Menschen nach Madagaskar gekommen sind, sind dort mindestens acht Gattungen und mindestens 16 Arten von Lemuren ausgestorben. Alle Arten waren vermutlich tagaktiv und größer als die heute lebenden Arten.