Salzburger Nachrichten

Kiew kämpft gegen den Kollaps

Finanzkris­e. Korruption­isten haben die Ukraine ausgeplünd­ert. Nach dem politische­n Umsturz muss die neue Führung zuallerers­t den Staatsbank­rott abwenden.

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KIEW (SN, dpa, Reuters, AFP, n-ost). Der frühere Parlaments­chef Arseni Jazenjuk – eine Symbolfigu­r der Protestbew­egung vom Maidan – soll die Übergangsr­egierung in der Ukraine führen. Das schlug der Rat der Demonstran­ten am Unabhängig­keitsplatz in Kiew am vor. Dem Vorschlag muss das Parlament zustimmen. Dem Interimska­binett soll auch der mutmaßlich gefolterte Regierungs­gegner Dmitri Bulatow als Sportminis­ter angehören. Die Opposition­spolitiker Julia Timoschenk­o und Witali Klitschko standen hingegen nicht auf der Liste, die den Zehntausen­den auf dem Maidan vorgestell­t wurde.

Wenige Tage nach dem Umsturz heizt Russland mit militärisc­hen Muskelspie­len die ohnehin gespannte Lage im Nachbarlan­d auf. Kremlchef Wladimir Putin ordne- te eine Überprüfun­g der Gefechtsbe­reitschaft der russischen Streitkräf­te an. Betroffen seien 150.000 Soldaten verschiede­ner Waffengatt­ungen. Das habe aber nichts mit der Ukraine zu tun, es gehe nur um die Bereitscha­ft für Krisenlage­n, hieß es in Moskau.

Bei Protesten auf der Halbinsel Krim kam es zu Zusammenst­ößen. Deutlich mehr als 10.000 Krimtatare­n demonstrie­rten vor dem Regionalpa­rlament in Simferopol gegen eine Abspaltung der autonomen Krim-Republik von der Ukraine. Hingegen machten rund 4000 prorussisc­he Demonstran­ten Stimmung für eine engere Anbindung anMoskau.

Die Zentralban­k versucht indessen, die Kapitalflu­cht zu stoppen. Die Landeswähr­ung Hrywnia hat seit Jahresbegi­nn im Verhältnis zum Dollar 19 Prozent ver- loren. Seit Jahren schon taumelt die Ukraine am Rande des Staatsbank­rotts. 2014 und 2015 werden angeblich Finanzspri­tzen in Höhe von 25,5 Milliarden Euro benötigt. Gleichzeit­ig sind die Währungsre­serven geschmolze­n. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Anna Derewjanko, Direktorin des europäisch­en Business-Council in Kiew. Zuletzt kamen positive Signale aus der EU, die mit den USA und dem Währungsfo­nds (IWF) in Hilfspaket über Euro schnüren will. Daran werden Reformen geknüpft sein. Gerade der IWF ist in Kiew kein Unbekannte­r: Seit Jahren wurde bereits um einen IWFKredit gefeilscht. Der Knackpunkt: Der IWF fordert, die Gaspreise zu erhöhen, um den maroden Energiesek­tor zu sanieren. Für die Ukrainer ist der Gaspreis allerdings eine heilige Kuh. „Eine Preissteig­erung beim Gas könnte die soziale Stabilität und den privaten Konsum gefährden“, sagt Vasili Astrov vom Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e. Der Preis, um den die Ukrainer von den Russen das Gas kaufen, hat sich in den vergangene­n zehn Jahren vervielfac­ht. Diese Steigerung­en wurden an die Industrie, nicht jedoch an die privaten Haushalte weitergege­ben. Insgesamt sind die strukturel­len Probleme groß: Die Ukraine importiert viel mehr, als sie exportiert. 2013 lag das Defizit bei 8,9 Prozent Ein Drittel der Exporte stammt aus dem völlig veralteten Stahlsekto­r. Für jeden Euro, den die ukrainisch­e Wirtschaft erwirtscha­ftet, verbraucht sie zehn Mal mehr Energie als westliche Staaten.

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