Briten rollen Merkel roten Teppich aus
Wohlfühldiplomatie samt Butterkeksen bei der Queen soll die deutsche Kanzlerin reformfreudig stimmen
LONDON (SN). Eine Rede der Bundeskanzlerin vor beiden Kammern des Westminster-Parlaments ist geplant, danach ein Mittagessen mit dem Premierminister und zum krönenden Abschluss ein Tässchen Tee mit Butterkeksen bei der Queen im Buckingham-Palast. Mehr Ehre kann die britische Nation einem ausländischen Gast in acht Stunden kaum erweisen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft am heutigen Donnerstag zu einem Arbeitsbesuch ein, und London rollt den roten Teppich aus: Denn empfangen wird nicht nur die einflussreichste Regierungschefin des Kontinents, sondern auch die Politikerin, die die Regierung von David Cameron als „wichtigste Partnerin“und Verbündete bei den angestrebten EU-Reformen ansieht.
Angela Merkel steht hoch im Kurs auf der Insel. Das persönliche Verhältnis zum Premierminister ist kollegial-entspannt, die Camerons wurden mit ihren drei Kindern im vergangenen Jahr sogar nach Schloss Meseburg eingeladen. Es ist diese Sympathie zweier ähnlich gesinnter, konservativer Regierungschefs, auf die Cameron nun vertraut: Denn er hat seinen euroskeptischen Landsleuten für 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft versprochen. Im Gegenzug sichert er ihnen zu, die Brüsseler Bürokraten zu mehr Wettbewerb und Transparenz zu zwingen und ihnen Kompetenzen abzuringen. Wenn er mit diesen Plänen eine Chance haben will, muss er zeigen, dass die Frau, deren Wort mehr als jedes andere in Europa zählt, auf seiner Seite steht.
Die britische Wohlfühldiplomatie samt Audienz im BuckinghamPalast hat demnach ihren Zweck. Denn die Aussicht auf ein Referendum hat die britischen Europafeinde nicht etwa besänftigt, sondern elektrisiert: Ein großer Block von Camerons konservativen Fraktion lässt mittlerweile keine Chance aus, dem Premierminister bei jeder Gelegenheit die Stirn zu bieten. Gleichzeitig wildert die europafeindliche, rechtspopulistische UK Independence Party unter den Tories. „Angela Merkel versteht die Pläne Camerons“, versicherte der britische Außenminister William Hague im Vorfeld des Besuchs: Deutschland sei aufgrund seiner Schlüsselrolle in der EU der „wichtigste Partner“, um Reformen durchzusetzen.
Jedes Wort der Kanzlerin bei ihrer heutigen Rede wird deshalb auf die Goldwaage gelegt. Cameron wird hoffen, dass AngelaMerkel ihm bei wichtigen Punkten entgegenkommt. Sie teilt seinen Wunsch nach mehr Transparenz und Wettbewerb und weniger Dirigismus aus Brüssel. Zugeständnisse sind möglicherweise auch bei Arbeitszeitrichtlinie und Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU zu erwarten. Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass die deutsche Bundesregierung so weit ginge, für derlei hehre Wünsche die EU-Verträge anzutasten. Einen Streit in der Gemeinschaft der 28, nur um die Briten bei der Stange zu halten, würde die Große Koalition kaum riskieren.