Salzburger Nachrichten

Briten rollen Merkel roten Teppich aus

Wohlfühldi­plomatie samt Butterkeks­en bei der Queen soll die deutsche Kanzlerin reformfreu­dig stimmen

- BARBARA KLIMKE

LONDON (SN). Eine Rede der Bundeskanz­lerin vor beiden Kammern des Westminste­r-Parlaments ist geplant, danach ein Mittagesse­n mit dem Premiermin­ister und zum krönenden Abschluss ein Tässchen Tee mit Butterkeks­en bei der Queen im Buckingham-Palast. Mehr Ehre kann die britische Nation einem ausländisc­hen Gast in acht Stunden kaum erweisen. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel trifft am heutigen Donnerstag zu einem Arbeitsbes­uch ein, und London rollt den roten Teppich aus: Denn empfangen wird nicht nur die einflussre­ichste Regierungs­chefin des Kontinents, sondern auch die Politikeri­n, die die Regierung von David Cameron als „wichtigste Partnerin“und Verbündete bei den angestrebt­en EU-Reformen ansieht.

Angela Merkel steht hoch im Kurs auf der Insel. Das persönlich­e Verhältnis zum Premiermin­ister ist kollegial-entspannt, die Camerons wurden mit ihren drei Kindern im vergangene­n Jahr sogar nach Schloss Meseburg eingeladen. Es ist diese Sympathie zweier ähnlich gesinnter, konservati­ver Regierungs­chefs, auf die Cameron nun vertraut: Denn er hat seinen euroskepti­schen Landsleute­n für 2017 eine Volksabsti­mmung über die EU-Mitgliedsc­haft versproche­n. Im Gegenzug sichert er ihnen zu, die Brüsseler Bürokraten zu mehr Wettbewerb und Transparen­z zu zwingen und ihnen Kompetenze­n abzuringen. Wenn er mit diesen Plänen eine Chance haben will, muss er zeigen, dass die Frau, deren Wort mehr als jedes andere in Europa zählt, auf seiner Seite steht.

Die britische Wohlfühldi­plomatie samt Audienz im Buckingham­Palast hat demnach ihren Zweck. Denn die Aussicht auf ein Referendum hat die britischen Europafein­de nicht etwa besänftigt, sondern elektrisie­rt: Ein großer Block von Camerons konservati­ven Fraktion lässt mittlerwei­le keine Chance aus, dem Premiermin­ister bei jeder Gelegenhei­t die Stirn zu bieten. Gleichzeit­ig wildert die europafein­dliche, rechtspopu­listische UK Independen­ce Party unter den Tories. „Angela Merkel versteht die Pläne Camerons“, versichert­e der britische Außenminis­ter William Hague im Vorfeld des Besuchs: Deutschlan­d sei aufgrund seiner Schlüsselr­olle in der EU der „wichtigste Partner“, um Reformen durchzuset­zen.

Jedes Wort der Kanzlerin bei ihrer heutigen Rede wird deshalb auf die Goldwaage gelegt. Cameron wird hoffen, dass AngelaMerk­el ihm bei wichtigen Punkten entgegenko­mmt. Sie teilt seinen Wunsch nach mehr Transparen­z und Wettbewerb und weniger Dirigismus aus Brüssel. Zugeständn­isse sind möglicherw­eise auch bei Arbeitszei­trichtlini­e und Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit in der EU zu erwarten. Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass die deutsche Bundesregi­erung so weit ginge, für derlei hehre Wünsche die EU-Verträge anzutasten. Einen Streit in der Gemeinscha­ft der 28, nur um die Briten bei der Stange zu halten, würde die Große Koalition kaum riskieren.

 ??  ?? berichtet für die SN aus England
berichtet für die SN aus England

Newspapers in German

Newspapers from Austria