Salzburger Nachrichten

Nur keine Leidenscha­ft bitte: Die Zeit der Zahlenfüch­se

Immer mehr Unternehme­n werden von Finanzern geführt. Das kann sie kurzfristi­g retten und langfristi­g in den Ruin treiben.

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Auch die Wirtschaft hat ihre Moden. Momentan ist es en vogue, Finanzchef­s zum Vorstandsv­orsitzende­n zu machen: Bei Siemens ist Ex-Finanzchef Joe Kaeser als Nachfolger von Bernd Löscher am Ruder, bei der Deutschen Telekom Ex-Finanzchef Tim Höttges und beimMedien­konzern Bertelsman­n Ex-Finanzchef Thomas Rabe, um nur einige deutsche Beispiele zu nennen. Es ist leicht, solche aus Österreich hinzuzufüg­en: Der Baukonzern Strabag hat mit Thomas Birtel, der Schuhhändl­er Leder + Schuh (Humanic, Stiefelkön­ig etc.) mit Peter Simma und die Generali Holding Vienna mit Peter Thirring ebenso frühere Finanzchef­s zum CEO gemacht.

Das ist einerseits, ähnlich derMode- erscheinun­g Minirock, ein logisches Krisenphän­omen: „Leute, jetzt muss einer ansWerk, der die Zahlen im Griff hat und spart“, lautet das Signal. Anderersei­ts handelt es sich um eine völlig irrational­e Entwicklun­g: Es bewegt sich so viel auf den Märkten, bei denWerthal­tungen der Konsumente­n und digitalen Technologi­en, dass es einer gefährlich­en Drohung gleichkomm­t, „alles im Griff zu haben“. Wer in diesem Umbruch nicht untergehen will, muss die Zukunft erforschen und Neues probie- ren. Muss ins Risiko gehen, Leidenscha­ft für Produkte, Materialie­n und Märkte sowie Ausdauer zeigen, weil sich der Erfolg von Innovation­en meist nicht über Nacht einstellt.

Nun sei keinem einzigen Manager die Fähigkeit abgesproch­en, sich zu wandeln und weiterzuen­twickeln. Doch die Herausford­erung, Unternehme­n in eine unsichere Zukunft zu navigieren, passt nicht gerade zur erlernten Haltung des typischen CFOs (Chief Financial Officers), Entscheidu­ngen mit Vorsicht auf Basis errechnete­r Zahlen zu treffen und Risiken soweit wie möglich zu vermeiden. Ihm ist alles suspekt, was sich nicht in kürzester Zeit rechnet: Das beginnt beim Design und der Gestaltung von Produkten und Firmenräum­en, führt übersMarke­ting zur Weiterbild­ung der Mitarbeite­r bis zur erwähnten Innovation. Alle Ausgaben, deren kurzfristi­ger Nutzen nicht belegbar ist, weil sie „nur“das langfristi­ge Überleben eines Unternehme­ns sichern, laufen Gefahr, dem Rotstift zum Opfer zu fallen.

Das ist gefährlich. Denn die Gestaltung des Geschäfts von morgen ist genauso wichtig wie die Effizienz des bestehende­n Geschäfts. Beides in Balance zu halten, lautet die große Kunst, über die in der Innovation­s- und Management­forschung unter dem Stichwort „Ambitexter­ity“viel diskutiert wird, an der jedoch in der Praxis viele Unternehme­n scheitern. Unter anderem deshalb, weil es nur noch um die Zahlen geht.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. salzburg.com/gewagtgewo­nnen

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