„Die Russen sind in Rufbereitschaft“
SIMFEROPOL (SN). Sergei Aksjonow ist sich an diesem Wahlsonntag früh sicher. „Dieses Referendum ist unwiderruflich“, erklärt der international nicht anerkannte Premier der Autonomen Republik Krim nach seiner Stimmabgabe am Morgen – und nimmt das Ergebnis vorweg: „Die Krim wird ein Teil Russlands sein.“Nur leicht differierende Hochrechnungen melden am Abend Vollzug. Zwischen 93 und 95,5 Prozent der 1,8 Millionen stimmberechtigten Bürger der Schwarzmeer-Halbinsel haben demnach „für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland“gestimmt. Eine unabhängige Prüfung der Ergebnisse gibt es nicht.
Auf dem zentralen Leninplatz in der Gebietshauptstadt Simferopol beginnen Tausende begeisterter Russland-Anhänger mit weißblau-roten Flaggen eine ausgelassene Siegesfeier. Volksmusik und kurze emotionale Reden wechseln sich ab. Aksjonow twittert: „Diese Entscheidung geht in die Geschichte ein.“AmMorgen hatte er es in die Formel gekleidet: „Alles verläuft so, wie das Volk es will.“ Richtiger müsste es heißen: „Wie der Kreml es will“. Denn der Krim-Premier, der sich Ende Februar in Simferopol an die Macht geputscht hat, handelt auf Weisung ausMoskau. Noch an diesem Montag will er in die russische Hauptstadt fliegen. Dort hat sich Präsident Wladimir Putin nach der Maidan-Revolution in Kiew offenkundig den Anschluss der Krim zum Ziel gesetzt.
Die geplante Annexion ist ein Gewaltakt, den das Referendum nach außen legitimieren soll. Alles sei „voll und ganz vom Völkerrecht gedeckt“, sagt Putin auch am Sonntag wieder, diesmal in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was in diesen Tagen auf der Krim wirklich geschieht, ist dagegen am besten bei der Anreise zu sehen. Auf den Zu- fahrtswegen zur Halbinsel hat Militär die Herrschaft übernommen.
Die Krim ist vom ukrainischen Festland mit Auto und Zug nur über die schmale Landenge von Perekop und weiter östlich über einen Damm bei Chonhar zu erreichen. An diesen strategischen Schnittstellen exekutieren russische Soldaten und prorussische Paramilitärs die Annexion ukrainischen Staatsgebietes. Mit Panzerwagen haben sie Straßensperren errichtet. In den Zügen kontrollieren bewaffnete Bürgerwehren die Reisenden. Auch der Luftraum ist nur für Flüge von und nachMoskau geöffnet.
Es gehe darum, „ukrainische Faschisten und Terroristen daran zu hindern, in unser Land einzudringen“, erklärt am Bahnhof von Simferopol einer der muskelbepackten Männer, die dort derzeit das Sagen haben. Er trägt eine Tarnhose, Armeestiefel, eine Bomberjacke und eine Armbinde in den russischen Nationalfarben Weiß, Blau und Rot. In Wirklichkeit ist von ukrainischen Gewalttätern auf der Krim bislang weit und breit nichts zu sehen.
Wie sollte es auch anders sein? In Simferopol seien „die Russen jederzeit in Rufbereitschaft“, behauptet eine etwa 50-jährige Frau, die schon am verregnetenMorgen zur Abstimmung gegangen ist.
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, eine weitere Eskalation der Krim-Krise zu prophezeien. Die EU und die USA drohen Russland seit Tagen mit verschärften Sanktionen, sollte der Kreml die Annexion der Krim vollziehen. Schon an diesem Montag kommen in Brüssel die EU-Außenminister zusammen, um Einreiseverbote und Kontosperren gegen die politische und wirtschaftliche Elite in Moskau zu beschließen.
Die Interimsregierung in Kiew will derweil auf den Einsatz militärischer Gewalt vorerst weiter verzichten. „Wir müssen eine friedliche Lösung finden“, sagt Übergangspräsident Oleksandr Turtschinow. Am Sonntag verkündet seine Regierung dann doch überraschend eine Waffenruhe mit dem russischen Militär auf der Krim.
„Wir werden eine Invasion mit allen Mitteln stoppen“, lässt die ukrainische Regierung trotz Waffenruhe wissen. Sie erklärt dies vor allem mit Blick auf die immer explosivere Lage in den ostukrainischen Industriemetropolen Charkiw und Donezk. Seit Tagen liefern sich dort prorussische und regierungstreue Demonstranten gewaltsame Auseinandersetzungen. Drei Menschen starben bereits bei Messerstechereien oder durch Schüsse. Am Sonntag stürmen Randalierer in Donezk den Sitz der ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Übergangsregierung in Kiew teilt mit, sie habe die Grenze zu Russland in weiten Teilen abgeriegelt, um „Provokateure zu stoppen“.
Das Außenministerium in Moskau seinerseits weist immer wieder darauf hin, dass man „Russen und russischstämmige Bürger in der Ukraine schützen“werde. Präsident Wladimir Putin ist mit allen rechtlichen Vollmachten ausgestattet, um eine Militäraktion in der Region zu starten. Die russische Armee hat dort nach unterschiedlichen Angaben bis zu 80.000 Soldaten und mehrere Hundert Panzer einsatzbereit.