Syrien vor viertem Kriegsjahr
Zerschellt. Die Syrer haben drei bittere Jahre hinter sich. Die Freiheitsträume der ersten Revolutionstage sind zerplatzt.
DAMASKUS, BEIRUT (SN). „Diese Revolution lebt noch, aber der Preis, den wir bezahlen, ist höher, als ich mir jemals hätte vorstellen können“, schreibt Fais Sara. Aus denWorten des syrischen Oppositionellen spricht der Schmerz eines Vaters, der gerade den Sohn verloren hat. Wissam Sara (27) wurde in den Folterkellern des Regimes von Präsident Baschar al-Assad zu Tode gequält. Sein Schicksal ist symptomatisch für die Grausamkeit, mit der in Syrien Krieg geführt wird. Nach Informationen der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter hat dieser Konflikt schon 146.000 Menschen das Leben gekostet.
Von den Träumen der frühen Revolutionäre, die vor drei Jahren in Damaskus und der Provinzstadt Daraa auf die Straße gingen, um Reformen zu fordern, ist nicht mehr viel übrig. Am Sonntag nahmen die Regierungstruppen die seit Wochen umkämpfte Rebellen- hochburg Jabrud ein. In Aleppo terrorisiert die Luftwaffe die Menschen mit Sprengstofffässern, die sie über Wohngebieten abwirft. In dem belagerten palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk, das in Damaskus nur 15 Autominuten vom Präsidentenpalast entfernt liegt, sind in den vergangenen Wochen Dutzende von Menschen verhungert.
Viele der Aktivisten von 2011 sind heute entweder tot, inhaftiert oder im Exil. Sie flohen nicht nur vor den Schergen des Regimes, sondern auch vor arabischen Terroristen, für die Syrien eine weitere Etappe in ihrem „globalen Dschihad“ist.
„Das Regime wird stürzen, aber es wird noch lang dauern“, sagt der Regimekritiker Chalid Chodscha. Fawas Sakri, der 2011 zusammen mit Chodscha und anderen Exilanten die ersten Anti-RegimeDemonstrationen in Istanbul organisiert hatte, erwartet, dass As- sad im vierten Jahr des Konflikts die Kontrolle verlieren wird: „Seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, wird abnehmen, weil der Einfluss der schiitischen Milizen und der russischen Berater wächst.“
Am 15. März 2011 setzte eine Demonstration in der Hauptstadt Damaskus eine Protestwelle gegen das Assad-Regime in Gang. Drei Jahre nach Beginn des Aufstands ist Syrien faktisch ein geteiltes Land.
In der Hauptstadt, in Al-Suwaida sowie in den Küstenstädten Latakia und Tartus herrscht das Regime noch unumschränkt. In AlRakka hat sich die von ausländischen Kämpfern dominierte Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) eingenistet. Mit Duldung des Regimes haben kurdische Gruppen in mehreren Bezirken im Norden eine Art Autonomie geschaffen. In Aleppo und Idlib geben islamis- tische Brigaden den Ton an. Die von Deserteuren gegründete Freie Syrische Armee (FSA) kontrolliert größere Gebiete im Süden des Landes, seitdem die Regierungstruppen ihre Angriffe dort reduziert haben.
Die reguläre Armee ist, abgesehen von einigen loyalen Offizieren der Luftwaffe, kaum noch an den Kämpfen beteiligt. Sie schützt zwar noch die Hauptstadt. Doch in den umkämpften Ortschaften im Umland von Damaskus kämpfen an vorderster Front fast ausschließlich Milizionäre. Die meisten von ihnen gehören der vom Iran aufgerüsteten libanesischen Hisbollah-Miliz und irregulären schiitischen Kampfverbänden aus dem Irak an.
Der erste ernsthafte Versuch, eine politische Lösung für diesen Krieg zu finden, der schon 8,5 Millionen Syrer heimatlos gemacht hat, ist Anfang dieses Jahres kläglich gescheitert.