Mit dem Cello von Polen an den Mississippi
Die große Kunst, mit dem richtigen Song tief in die Seele zu dringen, zeigen vier junge Frauen aus den USA
SALZBURG (SN). Es wälzt sich nicht der Mississippi durchs Leben. Stattdessen perlt die Oder aus dem Cello von Ashia Grzesik. Das erstaunt, denn es geht um „American Songbirds“an diesem Konzertabend im Jazzit. Für diese amerikanische Songwelt spielt der Mississippi eine zentrale Rolle. Von der osteuropäischen Oder war da bisher nicht die Rede. Aber Grzesiks Familie wanderte von Polen aus, geriet nicht nach Memphis oder New Orleans, sondern nach Portland. Und wenn Grzesik sehnsüchtig ist, dann fällt ihr eben die Oder ein. Also schrieb sie dem Fluss ein Lied, so etwas wie die Popversion von Smetanas „Die Moldau“. In dem Song taucht alles auf, aus dem Grzesik ihre Musik macht: Vaudeville-Cabaret und Chanson, slawisch inspirierte Emotion bis tief an die Traurigkeit, Indie-Pop, in den sich Klassik-Anklänge mischen.
Grzesik, die unter dem Namen Ashia and the Bison Rouge auftritt, ist wegen ihrer Intensität und Vielse(a)itigkeit der aufregendste Teil des abendfüllenden Festivals.
Neben Grzesik sind auch Kyrie Kristmanson (Ottawa), Stephanie Nilles (New Orleans) und Rachelle Garniez (New York) dabei. Das Bremer Label Jaro hat alle vier unter Vertrag. Und die vier zu diesem Songbird-Abend zusam- menzuspannen, erweist sich als fabelhafte Idee. Da lassen sich höchst unterschiedliche, zeitgemäße Konzepte und Interpretationen des „Songwritertums“in halbstündigen Portionen studieren. Keine der vier Musikerinnen bewegt sich auf ausgetretenen Wegen, auch wenn da und dort die Erinnerung an bekanntere Namen zwischen den Takten hervorlugt. Randy Newman, der alte Mann der einlullenden Melodie voller sarkastischer Blicke, hätte wohl diebisch hinterhältige Freude an einer wie Stephanie Nilles. Sie schleudert – allein am Klavier – kleine Bosheiten wie das Selbstverständlichste hin. Und sie formuliert akkurate Beobachtungen im Song „Fuck off, Grizzly Bear“so: „Facebook is just the gatewaydrug to stalking“. Rachelle Garniez steigt an manchen Stellen in ein geheimnisvolles Land, das sie „Dreamsville“nennt. Manchmal, wenn sie live mit Akkordeon und Ironie in Untiefen und Unmöglichkeiten des Daseins dringt, schimmert dabei als Schutzengel Tom Waits durch. Doch solch bekannte Namen sind bloß Anhaltspunkte. Alle vier Songbirds bestehen ohne musikhistorische Querverweise. Sie verfügen über individuelle Sprachen, enorme Intensität und mühelos hingestellte Überzeugungskraft. Wie gesagt: Eine verdammt gute Idee, die vier im Paket durch Europa zu schicken, weil das einen aufregend abwechslungsreichen Abend ergab.