Hier wird nach Maß verkauft
Umwelt. Einkaufen, ohne auch nur ein einziges verpacktes Lebensmittel zu besorgen? Das funktioniert, wie eine Greißlerin beweist.
So suche ich mir genau das aus, was ich wirklich will.
Andrea Lunzer,
Greißlerin
WIEN (SN). Wer das Geschäft von Andrea Lunzer betritt, merkt schnell: Hier ist etwas anders. Joghurt in Plastikbechern, Milch im Tetrapack oder Käse in einer Styroporschale sucht man vergebens. Denn in Lunzers Maß-Greißlerei im 2. Wiener Gemeindebezirk gibt es keine Verpackungen. Obst und Gemüse lagern in Holzkisten, Jutesäcken oder Porzellanschalen. Gewürze, Mehl und Nudeln werden aus Gläsern geschöpft. Milch ist in Glasflaschen abgefüllt. Waschmittel und Reiniger werden in Kanistern aufbewahrt.
Das kommt bei den Kunden gut an. Die Tür zum Geschäft in der Heinestraße schwingt auf. Eine Schar von Frauen stürmt herein – bepackt mit Tupperdosen und Stofftaschen. „Ich habe mir nicht gedacht, dass so viele am Anfang mit eigenen leeren Gefäßen kommen“, sagt Lunzer und schnauft, nachdem die Kundenschar bewältigt ist. „Wenn man selbst ein Ge- fäß hat, ist der erste Weg zur Kassa“, erklärt die Geschäftsführerin. Dort wird es gewogen, danach kann es befüllt werden. Wer keinen eigenen Behälter dabeihat, kann Gläser oder Flaschen in unterschiedlichen Größen kaufen und später wiederverwenden.
Das Thema Verpackung beschäftigt Andrea Lunzer schon seit ihrem Studium. Kurz vor der Eröffnung ihrer Greißlerei Ende Jänner war die 32-Jährige als Beraterin in diesem Bereich tätig. „Ich habe gemerkt, dass es nicht um die Frage geht, wie nachhaltig Verpackung ist, sondern ob man sie überhaupt braucht.“Aus diesem Gedanken entstand das Konzept für die Greißlerei. „Es macht einen großen Unterschied, ob ich 25 KilogrammMehl in einem Sack geliefert bekomme oder in 25 einzelnenMehlpackungen.“
Zwei Frauen schlendern am Tisch mit den Gewürzgläsern vorbei. Die eine schaufelt Thymian, Koriander und Suppenwürze in ihre mitgebrachten Behälter. Die andere ist offenbar das erste Mal hier und noch etwas zögerlich. „Ich will zuerst einmal probieren und nehme mir nur ein bisschen“, flüstert sie und schmunzelt.
Kaufen nach Maß und Ziel: So lautet das Motto in der MaßGreißlerei. Nicht nur die Verpackung kann gewählt werden, auch wie viel in ein Glas hineinkommt, ist jedem selbst überlassen. „Die Leute nehmen das als Erleichterung wahr“, sagt Lunzer. In einem Netz mit Zwiebeln etwa sei immer eine dabei, die nicht mehr ganz so schön sei. Damit drehe man dem Konsumenten etwas an, das er eigentlich nicht wolle. Bedenken habe sie schon gehabt, ob ihr Konzept mit dem Selbsteinpacken funktioniere. „Natürlich ist es einfacher, etwas bloß aus dem Regal zu nehmen, aber so suche ich mir genau das aus, was ich will.“Wer übrigens keine Lust oder Zeit zum Einkaufen hat, kann seine Tupperdosen samt Einkaufsliste auf dem Weg zur Arbeit abgeben und am Abend fertig gefüllt abholen.
Rund 250 Produkte bietet Lunzer inzwischen an. Dabei setzt sie auf biologische Ware und auf Regionalität. Alles, was es in Österreich gibt, kommt aus Österreich. Auch von der elterlichen Landwirtschaft im Burgenland findet sich einiges in den Regalen. „Das Sonnenblumenöl und die Schalotten sind von meinem Papa, die Marmelade von der Mama.“Ihr Bruder braut Biobier.
Ganz ohne ausländische Produkte kommt die Unternehmerin allerdings nicht aus. „Ich habe ein paar Sachen aus Italien.“Denn viele Leute wüssten nicht, was sie etwa mit Wurzelgemüse, das in Österreich Saison habe, anfangen sollten. Da habe sie nachgegeben. Fleisch gibt es bisher noch nicht. „Ich kann mir vorstellen, Fleisch auf Vorbestellung anzubieten.“So wie früher, wenn ein Tier geschlachtet wurde.
Eine Atmosphäre „so wie früher“wollte Lunzer auch in ihrer Greißlerei schaffen. Und einen gemütlichen Ort. Deshalb betreibt sie auch ein kleines Café. Ein Pärchen hat auf den Holzstühlen Platz genommen und erkundigt sich nach dem Essensangebot. Frischen Kuchen von Lunzers Tanten und ein Käsebrot bietet ihnen eine der Verkäuferinnen an. Künftig soll es auch warme Speisen in der Greißlerei geben, mit besonderem Augenmerk auf vegetarische Gerichte. Diese kommen Lunzers Erfahrung nach in vielen Wirtshäusern zu kurz und sind oft auch noch langweilig zubereitet.
Bis es so weit ist, laden Rezepte wie „Oma Lunzers Topfenstrudel“oder „Burgenländischer Krautstrudel“zum Nachkochen ein. Sie hängen auf bunten Zetteln an der Wand. „Das sind meine Leibspeisen“, sagt die 32-Jährige und lacht.
Rund 1,2 Millionen Tonnen Verpackungsabfall zählt das statistische Amt der EU, Eurostat, jedes Jahr in Österreich. Mit ihrem Konzept, ohne Plastik & Co. in ihrem Geschäft auszukommen, ist Lunzer jetzt sogar für den Umweltpreis der Stadt Wien nominiert. Morgen, Dienstag, fällt die Entscheidung der Jury. Die Unternehmerin fühlt sich geehrt: „Es freut mich sehr, auch von dieser Seite ein Feedback zu bekommen.“