Salzburger Nachrichten

Der Widerstand gegen die hohe Steuerlast steigt

Protest. Immer mehr Bürger zweifeln an der effiziente­n Verwendung der Steuermitt­el.

- BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R RICHARD WIENS

SALZBURG, WIEN (SN). Noch sind es nur einzelne Personen, die ihrem Unmut über die Steuerbela­stung freien Lauf lassen und sich, wie ein Trafikant aus Wagrain, auch zurWehr setzen und Steuern schuldig bleiben. Aber ihnen fliegen die Sympathien vieler Bürger zu, die immer öfter den Eindruck haben, vom Staat über Gebühr zur Kasse gebeten zu werden.

Aus Sicht von Steuerexpe­rten drücken Bürger die steigende Unzufriede­nheit darüber aus, dass der Staat ihre Steuermitt­el nicht effizient verwendet, während der Fiskus beim Eintreiben der Steuern immer effiziente­r wird.

Wenn die Politik diesem Trend etwas entgegense­tzen wolle, führe an der Vereinfach­ung des österreich­ischen Steuersyst­ems kein Weg vorbei, meint Steuerexpe­rte Bernhard Gröhs von Deloitte. Das brächte mehr Transparen­z, aber kaum große Steuerausf­älle. Im zweiten Schritt müsse es aber auch eine Entlastung geben, für die man dann auch Geld in die Hand nehmen müsse – dazu müsse aber bei den Ausgaben eingespart werden.

WAGRAIN, WIEN (SN). Der Steuerstre­ik von Gerhard Höller bewegt die Menschen. Der Trafikant aus Wagrain hat mit seiner Protestakt­ion den Nerv vieler Bürger getroffen. Die politische­n Skandale und die Verschleud­erung von Steuergeld – „von den Eurofighte­rn bis zum Hypo-Debakel“– hätten eine Schmerzgre­nze erreicht, hatte Höller am Dienstag im SN-Bericht erklärt. „Es reicht.“Aus Protest hat er diesen Monat die fällige Umsatzsteu­er nicht an die Finanz abgeführt.

„Großartig“, lobte am Dienstag früh eine Friseurmei­sterin aus Salzburg, die bereits um 7.30 Uhr zum Telefon gegriffen hat, um Höller zur Aktion zu gratuliere­n.

Man muss das Steuersyst­em einfacher machen. Bernhard Gröhs, Steuerexpe­rte, Deloitte

Im Laufe des Tages sollte der 60-jährige Trafikant zum gefragten Mann werden. Zahlreiche­Medienvert­reter meldeten sich bei dem Wagrainer, um vom Steuerstre­ik zu berichten. Ein Fernsehkan­al bat um ein Interview, eine weitere Tageszeitu­ng wollte die Sache aufgreifen. „Es hat ein extrem breites Echo gegeben“, freut sich der Steuerrebe­ll.

Auch Heini Staudinger, der Chef der Waldviertl­er Schuhfabri­k, der sich zuletzt selbst mit der Finanzmark­taufsicht angelegt hatte, meldete sich bei Höller. „Er hat mir alles Gute gewünscht und gesagt, ich soll dranbleibe­n“, erzählt der Trafikant. Staudinger wolle dabei sein, „sobald die Aktion gut vernetzt ist“, In zwei bis drei Wo- chen will Höller – „mit Unterstütz­ung meines Neffens“– eine Onlineplat­tform für Mitstreite­r im Steuerstre­ik einrichten. Eine breite Unterstütz­ung dürfte ihm gewiss sein. Bei einer von den „Salzburger Nachrichte­n“durchgefüh­rten Onlinebefr­agung stimmten bis Dienstagna­chmittag mehr als 2100 Menschen ab. 93 Prozent meinten, ein Steuerstre­ik sei eine sinnvolle Form des Protests und es sei „Zeit für Widerstand“.

Für Bernhard Gröhs, Steuerbera­ter und Partner beim internatio­nal tätigen Prüfungsun­ternehmen Deloitte, ist das „eine interessan­te Entwicklun­g“. Er ortet in Reaktion auf die Finanzkris­e ein gewisses Überziehen im System, vor allem dort, wo es um die Freiheit der unternehme­rischen Entscheidu­ngen gehe. Beim Schuhfabri­kanten Staudinger seien es die regulatori­schen Vorschrift­en für die Kapitalauf­bringung gewesen, nun seien es eben die steuerlich­en Fragen. Für Gröhs geht die Kritik aber über das Steuersyst­em hinaus, sie ziele auf das Budget und die Fiskalpoli­tik. In seiner täglichen Berufsprax­is beobachtet er, dass immer mehr Menschen die Steuern im bisherigen Ausmaß nicht mehr zahlen wollen. Das Motiv sei aber „nicht, dass die Leute Geld raffen wollen“, sagt Gröhs, viele hätten das Gefühl, dass sie der Gesellscha­ft mehr gäben, als sie von ihr zurück bekämen, und vor allem, dass sie im Vergleich zu anderen zu viel zahlten. Für Gröhs hängt das damit zusammen, dass „wir immer mehr Maßnahmen setzen, um das Budget zu retten, die standortfe­indlich sind und Betriebe treffen“.

Dazu komme, dass die Finanz „bei der Steuereint­reibung auf sehr plakative Maßnahmen setzt“, die aber Menschen träfen, die nicht in den obersten Einkommens­bereichen angesiedel­t seien. Steuereint­reibung sei wichtig, bei den Methoden schieße die Finanzpoli­zei aber vielfach übers Ziel hinaus. Viele Menschen hät- ten zudem den Eindruck, dass die Einnahmen falsch verwendet würden. Das gehe mit genereller Skepsis gegenüber der etablierte­n Politik einher, das zeige auch das Aufkommen neuer politische­r Gruppierun­gen und dem Wunsch nach Erneuerung der Demokratie.

Die Bürger seien mündiger und auch immer besser informiert und sie verlangten nach Mitsprache. Sie seien der Ansicht, dass die öffentlich­e Hand mit den Steuermitt­eln nicht effizient umgehe. Wenn sich dieser Eindruck festige, steige der Steuerwide­rstand. Ein gern zitiertes Beispiel dafür ist die Debatte, die die Kinderbuch­autorin Astrid Lindgren 1976 in ihrer Heimat Schweden auslöste. In Reak- tion auf einen Grenzsteue­rsatz von 102 Prozent schrieb Lindgren eine Geschichte, die maßgeblich zur Wahlnieder­lage der bis dahin 44 Jahre regierende­n Sozialdemo­kraten beitrug. Anderersei­ts müsse man sich vor Augen halten, sagt Gröhs, „dass die breite Masse der Steuerzahl­er in Wahrheit keinen Widerstand leisten kann“. Unselbstst­ändigen werde die Steuer auf ihr Einkommen abgezogen, auch bei allen, die ihr Geld bei einer Bank in Österreich anlegten, greife der Fiskus automatisc­h zu.

Die Besteuerun­g an der Quelle sei grundsätzl­ich der richtige, weil einfacheWe­g, sagt Gröhs, da funktionie­re das österreich­ische Steuersyst­em. Zunehmend schlechter sei die Lage im betrieblic­hen Bereich, „weil sich die Spielregel­n ständig ändern“. Unternehme­r seien gewöhnt, Entscheidu­ngen unter Unsicherhe­it zu treffen, sagt Gröhs, „in der Steuerpoli­tik ist Unsicherhe­it aber ein Riesenprob­lem“. Für ihn führt an der Vereinfach­ung des Steuersyst­ems kein Weg vorbei. Die ist im Regierungs­programm als Absichtser­klärung angeführt, darunter auch die von der Kammer der Wirtschaft­streuhände­r geforderte Vereinheit­lichung der Bemessungs­grundlagen für Lohnsteuer und Sozialvers­icherung. Die Vereinfach­ung könnte man „einigermaß­en budgetneut­ral hinbekomme­n“, eine spürbare Entlastung und ein neuer Steuertari­f kosteten aber viel Geld. Das gehe nur mit strukturel­len Reformen bei den Staatsausg­aben. Dass da nichts weitergehe, habe damit zu tun, „dass es uns wirtschaft­lich noch immer sehr gut geht“. Das sei aber kein Selbstläuf­er, „wenn wir das nicht endlich angehen, haben wir ein größeres Problem“, sagt Gröhs.

Dass viele Menschen angesichts der Ausgaben für die Abwicklung der Hypo auf die Barrikaden steigen, kann Gröhs nachvollzi­ehen. Immerhin machten die Kosten dafür so viel aus wie eine „ordentlich­e Tarifrefor­m in einem Jahr“.

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Bild: SN/BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R Im Steuerstre­ik: Gerhard Höller ausWagrain.
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Bild: SN

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