Salzburger Nachrichten

Und was geschieht in der Ukraine?

AlleWelt redet über die Krim, die durchsicht­igenWahlur­nen, die offenen Stimmzette­l und die angeblich 93 Prozent Zustimmung. Und was tut Kiew?

- Susanne Scholl hat von 1991 bis 2009 für den ORF aus Moskau berichtet und lebt jetzt als freie Journalist­in und Schriftste­llerin in Wien. www.salzburg.com/scholl

Die Ukraine hat derzeit weder eine wirklich gewählte Regierung noch einen wirklich gewählten Präsidente­n. Und vermutlich gerade jetzt auch keine große Lust, sich auf so banale Dinge wie die Vorbereitu­ng für vorgezogen­e Neuwahlen oder gar einen Wahlkampf zu konzentrie­ren. Eigentlich hat Wladimir Putin den Regierende­n in Kiew mit der Invasion der Krim und dem unter allen Aspekten illegalen Referendum samt seinem sowjetisch anmutenden Ergebnis einen ganz großen Gefallen getan. Angesichts des russischen Säbelrasse­lns ist es für die Führung in Kiew nun gar nicht so schwierig, zumindest jene Teile der Bevölkerun­g, die immer noch einenWeg in Richtung Demokratie finden wollen, hinter sich zu vereinen – trotz der Enttäuschu­ng über die „orange Revolution“von 2004, die am Ende in Streit und Untätigkei­t endete und dem verhassten Viktor Janukowits­ch den ganz legalen Aufstieg an die Macht ermöglicht­e.

Dank Putins aktiver Demonstrat­ion seiner These, wonach der Zerfall der Sowjetunio­n die größte geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts war (die er offenbar zumindest in Ansätzen rückgängig machen möchte), müssen sich die heutigen „Revolution­äre“vorerst nämlich nicht ihrem eigentlich­en Thema zuwenden – der Frage, wie und wohin sich „ihre“Ukraine entwickeln soll. Und wer in „ihrer“Ukraine die Oberhand behält. Fragwürdig­e Ultranatio­nalisten? Angebliche Patrioten? Oder eben doch eher liberal denkende und einen halbwegs fairen Weg in Richtung Demokratie suchendeMe­nschen?

Die Regierende­n in Kiew müssen sich angesichts der russischen Bedrohung auch nicht der Frage stellen, wie sie eine Spaltung des Landes verhindern können, so künstlich hochgespie­lt diese Frage auch sein mag. Sie können weiterhin so tun, als stünden sie immer noch auf dem Maidan und müssten erst einmal gemeinsam „dagegen sein“und könnten die bitter nötige Auseinande­rsetzung zwischen den durch und durch gegensätzl­ichen politische­n Kräften auf „die Zeit danach“verschiebe­n.

Kann gut sein, dass auch dieser Aspekt bei Putins Überlegung­en zum sowjetisch­en Vorgehen auf der Krim eine Rolle gespielt haben mag. Denn früher oder später wird die auf dem Maidan geschlosse­ne Allianz eben zerbrechen. Es sei denn, man diskutiert die wirklich überlebens­notwendige­n Themen jetzt gleich aus. Wenn das aber nicht bald geschieht, wird jener Teil der Ukraine, in den Putins Einfluss noch nicht so ganz hineinreic­ht, vermutlich wirklich im Chaos enden – und das wiederum spielt Putin in die Hände.

Ich denke, dass echte, harte Sanktionen gegen Russland dringend nötig sind. Ich denke aber auch, dass die derzeitige provisoris­che Führung der Ukraine dringend aktive Unterstütz­ung bei ihren Problemen braucht. Darüber sollten EU und USA vielleicht noch intensiver nachdenken als darüber, wie sie dem Kreml begegnen sollen.

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