Und was geschieht in der Ukraine?
AlleWelt redet über die Krim, die durchsichtigenWahlurnen, die offenen Stimmzettel und die angeblich 93 Prozent Zustimmung. Und was tut Kiew?
Die Ukraine hat derzeit weder eine wirklich gewählte Regierung noch einen wirklich gewählten Präsidenten. Und vermutlich gerade jetzt auch keine große Lust, sich auf so banale Dinge wie die Vorbereitung für vorgezogene Neuwahlen oder gar einen Wahlkampf zu konzentrieren. Eigentlich hat Wladimir Putin den Regierenden in Kiew mit der Invasion der Krim und dem unter allen Aspekten illegalen Referendum samt seinem sowjetisch anmutenden Ergebnis einen ganz großen Gefallen getan. Angesichts des russischen Säbelrasselns ist es für die Führung in Kiew nun gar nicht so schwierig, zumindest jene Teile der Bevölkerung, die immer noch einenWeg in Richtung Demokratie finden wollen, hinter sich zu vereinen – trotz der Enttäuschung über die „orange Revolution“von 2004, die am Ende in Streit und Untätigkeit endete und dem verhassten Viktor Janukowitsch den ganz legalen Aufstieg an die Macht ermöglichte.
Dank Putins aktiver Demonstration seiner These, wonach der Zerfall der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts war (die er offenbar zumindest in Ansätzen rückgängig machen möchte), müssen sich die heutigen „Revolutionäre“vorerst nämlich nicht ihrem eigentlichen Thema zuwenden – der Frage, wie und wohin sich „ihre“Ukraine entwickeln soll. Und wer in „ihrer“Ukraine die Oberhand behält. Fragwürdige Ultranationalisten? Angebliche Patrioten? Oder eben doch eher liberal denkende und einen halbwegs fairen Weg in Richtung Demokratie suchendeMenschen?
Die Regierenden in Kiew müssen sich angesichts der russischen Bedrohung auch nicht der Frage stellen, wie sie eine Spaltung des Landes verhindern können, so künstlich hochgespielt diese Frage auch sein mag. Sie können weiterhin so tun, als stünden sie immer noch auf dem Maidan und müssten erst einmal gemeinsam „dagegen sein“und könnten die bitter nötige Auseinandersetzung zwischen den durch und durch gegensätzlichen politischen Kräften auf „die Zeit danach“verschieben.
Kann gut sein, dass auch dieser Aspekt bei Putins Überlegungen zum sowjetischen Vorgehen auf der Krim eine Rolle gespielt haben mag. Denn früher oder später wird die auf dem Maidan geschlossene Allianz eben zerbrechen. Es sei denn, man diskutiert die wirklich überlebensnotwendigen Themen jetzt gleich aus. Wenn das aber nicht bald geschieht, wird jener Teil der Ukraine, in den Putins Einfluss noch nicht so ganz hineinreicht, vermutlich wirklich im Chaos enden – und das wiederum spielt Putin in die Hände.
Ich denke, dass echte, harte Sanktionen gegen Russland dringend nötig sind. Ich denke aber auch, dass die derzeitige provisorische Führung der Ukraine dringend aktive Unterstützung bei ihren Problemen braucht. Darüber sollten EU und USA vielleicht noch intensiver nachdenken als darüber, wie sie dem Kreml begegnen sollen.