Wehrhaft.
Wenn Mariam Kirollos ihreWohnung in Kairo verlässt, kann sie sicher sein, dass sie von Männern belästigt wird, bevor sie die Metro erreicht.
SN: Als Sie bei der ägyptischen Revolution 2011 mit einer Trommel auf dem Tahrir-Platz auftauchten, wurden Sie angefeindet. Warum? Kirollos: Die Trommel ist in Ägypten ein Instrument für Männer. Frauen spielen Geige oder Piano. Ich mag die Trommel und ein Freund fragte, ob ich damit zu einem Protestmarsch vor das Verteidigungsministerium komme. Sicher wollte ich. Aber sobald ich damit aus dem Taxi draußen war, kamen Bemerkungen, die nicht unbedingt schmeichelhaft waren. Genau gesagt wurde ich wüst beschimpft. Dabei hatte ich nur eine Trommel. Also habe ich mich entschieden zu lächeln und weiterzugehen. Und plötzlich war es mehr als Musik. Es war ein langer Protestmarsch, ungefähr sechs Stunden. Ultras waren auch dabei. Am Ende, als wir vor dem Verteidigungsministerium ankamen, haben sie Platz für mich gemacht und gerufen: „Macht Platz für die Lady“. Das war ungewöhnlich und ein verdammt gutes Gefühl. SN: Inzwischen ist es still geworden. Warum sind die Frauen in Ägypten verstummt? Kirollos: Das sind sie nicht. Erst diese Woche gab und gibt es wieder Proteste. An der Universität in Kairo wurde eine Studentin auf dem Campus der juridischen Fakultät von zehn Mitstudenten umringt, die ihr die Kleider vom Leib reißen wollten. Sie konnte sich in die Toiletten retten, bis die Sicherheitsleute kamen. Universitätsdirektor Gaber Nasser – ein Mann, den ich bis dahin eigentlich geschätzt habe – sagte dann in den Nachrichten, das Outfit der Studentin sei ein Fehler gewesen. Sie habe eine schwarze Hose und ein pinkes Top getragen. Ihren Mantel habe sie auf dem Campus ausgezogen, was zu dem Vorfall geführt habe. Das hat der Universitätsdirektor tatsächlich gesagt. Ungeheuerlich, oder? Der Körper einer Frau ist doch kein Allgemeingut. Meine Vagina gehört doch nicht allen. SN: Sind Sie selbst auch schon belästigt worden? Kirollos: Ja, das gehört in Kairo leider zum Alltag. Wenn du deine Wohnung verlässt, kannst du sicher sein, dass es passiert, bis du die Metro erreicht hast.
SN: Was genau? Kirollos: Manche machen Geräusche, als würden sie eine Katze anlocken. Dann kommen sexuelle Anspielungen und Einladungen. Manchmal trage ich deswegen Kopfhörer und höre Musik. Aber das kann ja wohl nicht die Lösung sein. In der Metro gibt es eigene Abteile für Frauen. Aber das Leben ist größer als die Metro.
SN: Wie wehren Sie sich? Kirollos: Ich bin für die Konfrontation. Den Kopf einziehen und schweigen wird uns nicht helfen. Einmal war ich zu Fuß unterwegs, als ein Taxifahrer im Schritttempo neben mir hergefahren ist und mich belästigt hat. Er hat immer eine Runde gedreht und ist wiedergekommen. Als er zum vierten oder fünften Mal ankam, bin ich dem Auto nachgelaufen und habe geschrien, habe ihn vor allen als jemanden bloßgestellt, der Frauen nicht respektiert. Er ist nicht zurückgekehrt. SN: Wenn eine Frau auf offener Straße bedroht wird – helfen andere? Kirollos: Es ist eigentlich absurd: Wenn meine Geldtasche gestohlen wird und ich rufe um Hilfe, werden alle versuchen, den Dieb zu halten, damit ich meine Geldtasche wiederbekomme. Wenn ich aber um Hilfe rufe, weil mich jemand belästigt, sagen viele: „Du siehst aus wie eine gebildete Person. Mach also keine Szene und zieh damit Aufmerksamkeit auf dich.“Holt man die Polizei, kommt es vor, dass die Beamten zu einer Frau sagen: „So was ist ein langer Prozess. Wollen Sie das wirklich auf sich nehmen?“Wenn sogar die Polizei Frauen entmutigt, sich zu wehren, wie soll sich dann etwas ändern?
SN: Ja, wie? Kirollos: Ich engagiere mich in einer Gruppe, die Frauen zum Beispiel vom Tahrir-Platz rausholt, wenn sie in Not kommen. Es ist immer das gleiche Muster: Eine Frau wird von ihrer Gruppe getrennt. DerMob, oft mehrere Dutzend Männer, bildet einen Kreis um sie, die Männer begrapschen sie, reißen ihr die Kleider vom Leib, und wenn sie versucht zu fliehen, hetzen sie ihr hinterher. Wir versuchen, die Frauen da rauszuholen. In unserer Zentrale rufen Menschen an, die auf dem Tahrir Zeugen eines Übergriffs werden. Unsere Eingreiftruppen bestehen aus Teams von etwa 30 Leuten. Sie versuchen, zum Opfer vorzudringen. Sobald unsere Helfer die Frau erreicht haben, geben sie ihr, wenn nötig, erst einmal etwas zum Überziehen und bringen sie so schnell wie möglich aus der Menschenmenge zu einem unserer Autos. Von dort wird sie in Sicherheit gebracht – zu einem Arzt unseres Vertrauens zum Beispiel oder in ein Frauenhaus. SN: Wie kann es sein, dass der Tahrir-Platz, wo Männer und Frauen zusammen für mehr Rechte und mehr Freiheit demonstriert haben, eine Bühne für sexuelle Übergriffe geworden ist? Kirollos: Aus den Berichten von Opfern wissen wir, dass MobMentalität eine wichtige Rolle spielt. Oft geht die Gewalt von vier, fünf Männern aus, die die Menge anstacheln. Sie bilden einen Kreis um die Frau, beginnen sie anzufassen. Immer mehr Männer, bis dahin unbeteiligte Zeugen, machen dann mit. Viele von ihnen behaupten, der Mann oder der Va- ter des Opfers zu sein, ihr helfen zu wollen. Und gehen dann selbst auf die Frau los. 50 bis 100 Männer können an so einem Übergriff beteiligt sein. Daneben gibt es Männer, die schon mit der Absicht auf den Tahrir-Platz kommen, sich an Frauen zu vergehen. Für sie bietet sich in der Menge eine günstige Gelegenheit. Die Täter werden selten verfolgt. Wir haben in Ägypten ein System, das so etwas durchgehen lässt. Gewalt an Frauen muss bestraft werden. Aber wenn die Täter zum Teil sogar unter den Sicherheitsleuten zu suchen sind, kann man sich vorstellen, wie engagiert gegen sexuelle Übergriffe vorgegangen wird. SN: Haben Sie Angst, selbst zum Opfer zu werden? Kirollos: Dann wäre erreicht, was die Täter wollen. Frauen würden marginalisiert. Die Frauen in unserer Gruppe riskieren ihr Leben. Das zeigt, wie sehr sie davon überzeugt sind, dass wir Widerstand leisten müssen. Es sind übrigens auch viele Männer dabei, die so denken. Wenn Frauenrechte gestärkt werden sollen, geht das nicht, ohne auch Männer davon zu überzeugen. Natürlich haben wir Angst. Aber wir machen weiter.