Die Qualifizierten gehen, die Politik schaut zu
Wissenslücke. In Österreich vergrößert sich die Lücke bei den Hochqualifizierten jährlich. Kommt bald ein „böses Erwachen“?
Österreich hat ein Braindrain-Problem. Heinz Faßmann, Vizerektor Uni Wien
WIEN (SN-i.b.). Bisher gab es nur OECD-Schätzungen über den Braindrain – die Abwanderung gut bis bestens Ausgebildeter – aus Österreich. Die waren alarmierend. Jeder achte hoch qualifizierte Österreicher sucht sein Glück anderswo, ergab die Auswertung 2011. Nun gibt es erstmals fundierte Zahlen der Statistik Austria. Und sie bestätigen das, was der Vizerektor der Uni Wien, Heinz Faßmann, so ausdrückt: „Österreich hat ein Braindrain-Problem, nur wird es politisch kaum wahrgenommen.“
In den vergangenen zehn Jahren verließen jährlich zwischen 20.000 und 25.000 Österreicher das Land, etwa 15.000 kehrten zurück. Das bedeutet einen Nettoverlust von 5000 bis 10.000 Österreichern. Jährlich. Problematisch ist dabei zweierlei. Erstens: Es sind vor allem die Jungen, die gehen – die meisten Auswanderer sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Zweitens: Die meisten sind gut ausgebildet.
Die Daten für 2012: Von den 19.000 Auswanderern über 15 Jahren (insgesamt verließen 22.000 Österreicher das Land) hatten 3100 einen Uni- oder FH-Abschluss in der Tasche (16%), 2900 hatten die Matura (15%), 6700 eine abgeschlossene Lehre oder Fachschule (35%). Das heißt, dass 70 Prozent der Auswanderer gut bis bestens qualifiziert waren, um im Ausland durchzustarten. Es zieht sie vor allem nach Deutschland, in die Schweiz, die USA und nach Großbritannien.
Das stärkste Drängen ins Ausland kommt aus den Reihen der Maturanten sowie der Uniund FH-Absolventen – und da besonders von den Naturwissenschaftern. Österreich schafft es nicht, diese Abwanderung der Qualifizierten durch entsprechende Zuwanderung zu ersetzen. Und Uni-Absolventen aus Drittstaaten können nur selten gehalten werden. Im jüngsten OECD-Vergleich (er untersuchte das Abschlussjahr 2008/09) schnitt Österreich am schlechtesten ab: Nicht einmal jeder fünfte internationale Absolvent einer österreichischen Uni beantragte eine Aufenthaltserlaubnis – in Kanada war es jeder dritte.
Unterdessen schaut es noch schlechter aus. 2013 wurden gerade einmal 214 Rot-Weiß-RotKarten an Graduierte aus Drittstaaten ausgestellt, das heißt, nur 14 Prozent blieben als Arbeitskräfte erhalten. Faßmann: „Österreich erbringt eine hohe Ausbil- dungsleistung, erzielt aber eine geringe Ausbildungsrendite.“Sein Wunsch an die Politik: Die Rot-Weiß-Rot-Karte müsse entbürokratisiert, die Hürden gesenkt werden. Derzeit müssen Bewerber zu drei verschiedenen Ämtern laufen; sie haben nur sechs Monate Zeit, um Arbeit zu finden (Deutschland: 18 Monate) und die Einkommensgrenze ist hoch.
Bei der Uni Wien bemüht man sich seit 2011 darum, einstige Absolventen zurückzuholen. Geboten wird ein „LaufbahnstellenModell“, das nach relativ kurzer Zeit unbefristete Verträge als „assoziierte“Professoren ermöglicht. 60 einstige Absolventen habe man so von Forschungsstellen im Ausland zurück an die AlmaMater gebracht, berichtet Rektor Heinz Engl. Bis 2016 sollen weitere 30 dieser Stellen vergeben werden und so für internationalen Input sorgen. Engl: „Wir brauchen Brain-Circulation!“In den hohen Lohnnebenkosten sieht er einen schweren Wettbewerbsnachteil. „Wir müssen viel höhere Bruttogehälter zahlen als ausländische Unis, damit wir netto dasselbe bieten können.“
Ein düsteres Bild zeichnet Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG und damit eines Global Player. Die Lücke bei den Hochqualifizierten „bringt uns im internationalen Wettbewerbe in eine dramatische Situation“. Gehe das so weiter, „werden wir in fünf Jahren ein böses Erwachen erleben“.