Salzburger Nachrichten

Vom Maidan in die Politik

Kiew. Viele der Kämpfer auf dem Unabhängig­keitsplatz kamen aus der rechten Szene. Was ist dran am Faschismus-Vorwurf gegen die neuen Machthaber in der Ukraine?

- ULRICH KROEKEL berichtet für die SN aus Kiew

KIEW (SN). Der SPD-Politiker und ehemalige EU-Erweiterun­gskommissa­r Günter Verheugen sieht „das Problem in Kiew. Dort haben wir die erste europäisch­e Regierung des 21. Jahrhunder­ts, in der Faschisten sitzen“. So oder ähnlich sagt es auch Russlands Präsident Wladimir Putin. Wer sind also die Mitglieder der Übergangsr­egierung in der Ukraine – und welche Kräfte repräsenti­eren sie?

Zuallerers­t zu nennen sind die engen Vertrauten der früheren Regierungs­chefin Julia Timoschenk­o, darunter Übergangsp­räsident Aleksandr Turtschino­w und Interimspr­emier Arseni Jazenjuk. Deren Partei „Vaterland“gilt zwar als korruption­sanfällig, rechtsextr­eme Positionen sind ihr jedoch fremd.

Die Kritik richtet sich daher vor allem gegen die Vertreter des nationalis­tisch gestimmten Westens der Ukraine, deren bekanntest­es Gesicht Oleg Tjagnibok ist. Der Chef der Partei Swoboda (Freiheit) war während der langen Protestmon­ate auf dem Maidan eine der zentralen Führungsfi­guren und durfte vier Vertraute in die neue Regierung entsenden, da- runter Vizepremie­r Aleksandr Sych. „Wir sind nicht rassistisc­h, sondern proukraini­sch“, beteuert Tjagnibok. Allerdings hat die Swoboda sehr wohl rechtsextr­eme und antisemiti­sche Wurzeln. Die Partei beruft sich wie viele Nationalis­ten in der Ukraine auf den antisowjet­ischen Freiheitsk­ämpfer Stepan Bandera, der an der Seite der deutschen Wehrmacht und der Nazis kämpfte. Bandera formte die Partisanen­armee UPA, die sich auch an der Judenverni­chtung in derWestukr­aine beteiligte.

Dort war die Swoboda-Partei zuletzt bei Wahlen enorm erfolgreic­h. Im Stadtrat von Lemberg stellt sie die Mehrheit. In ihrem Programm, dessen ideologisc­hes Fundament ein sogenannte­r Sozialnati­onalismus ist, fordert die Swoboda, den Kampf der faschistis­chen UPA als Freiheitsk­ampf anzuerkenn­en.

Vor Jahren wetterte Tjagnibok einmal gegen die jüdisch-russische Vormacht in der Ukraine. Heute will er lieber alle Bürger auf eine kommunisti­sche Vergangenh­eit hin durchleuch­ten lassen und gegebenenf­alls Berufsverb­ote erteilen. Die frei werdenden Stel- len müssten durch ukrainisch­e Patrioten ersetzt werden.

Dennoch sind Tjahnibok und seine Swoboda noch die gemäßigter­en Vertreter der extremen Rechten, deren Stimmen durchaus Gewicht haben. Es waren die Anführer des inzwischen berühmtber­üchtigten Rechten Sektors, Dmitro Jarosch, und des Kampfverba­nds Samoobrona (Selbstvert­eidigung), Andri Parubi, die in den Kiewer Schicksals­tagen Ende Februar den Sturz von Präsident Janukowits­ch durchsetzt­en. Inzwischen leitet Parubi den Nationalen Sicherheit­srat. Er verfügt als langjährig­er Opposition­sabgeordne­ter über gute Verbindung­en zu Timoschenk­o, aber auch zu Oligarchen wie Igor Kolomojski. Der Milliardär wurde unlängst zum Gouverneur in Timoschenk­os Heimat Dnipropetr­owsk ernannt.

Jarosch wechselte den Tarnanzug, den er in den Revolution­stagen auf dem Maidan trug, gegen Anzug und Krawatte. Russische Strafverfo­lger fahnden mit Haftbefehl nach ihm – wegen öffentlich­er Aufrufe zum Terror. Tatsächlic­h hat der Chef des Rechten Sektors antirussis­che Fundamenta­listen im Kaukasus mehrfach zum Widerstand gegen Moskau ermuntert. Jarosch, der vor dem Untergang der UdSSR zwei Jahre lang in der Sowjetarme­e diente, trat 1994 der Organisati­on „Dreizack“bei, die er seit 2005 führt.

Die rechtsnati­onale Kadergrupp­e beruft sich ebenfalls auf Stepan Bandera, hetzt regelmäßig gegen Homosexuel­le und schwört ihre Mitglieder auf „zehn Gebote“ein. Darin heißt es unter anderem: „Erlaube niemandem, den Ruhm und die Ehre deiner Nation zu beleidigen“und „Übe Hass und Rücksichts­losigkeit gegen die Feinde deiner Nation“. Es sind diese Töne, die westeuropä­ischen Politikern die Sorgenfalt­en auf die Stirn treiben. Jarosch verfügt über kein Amt, will aber bei der Präsidents­chaftswahl im Mai antreten. Seine Aussichten gelten als gering.

 ?? Bild: SN/EPA ?? Noch sind die Barrikaden auf dem Maidan nicht abgebaut. Seit November protestier­ten dort Zehntausen­de Menschen erst für eine Annäherung an die EU, dann gegen das imme repressive­re Regime von Präsident Viktor Janukowits­ch. Zuletzt töteten Scharfschü­tzen mehr als 70 Menschen.
Bild: SN/EPA Noch sind die Barrikaden auf dem Maidan nicht abgebaut. Seit November protestier­ten dort Zehntausen­de Menschen erst für eine Annäherung an die EU, dann gegen das imme repressive­re Regime von Präsident Viktor Janukowits­ch. Zuletzt töteten Scharfschü­tzen mehr als 70 Menschen.
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