Salzburger Nachrichten

Politik im Pinocchio-Modus

„Negerkongl­omerat“. Warum leugnete Andreas Mölzer, was klar auf einem Tonband zu hören ist? Was bringt Politiker dazu, zu lügen?

- ANDREAS KOLLER ALFRED PFEIFFENBE­RGER

Täuschen, tarnen, nur zugeben, was unwiderleg­bar bewiesen ist: Diesen probaten Grundsatz machte sich der freiheitli­che EU-Mandatar Andreas Mölzer in der Kontrovers­e um seine umstritten­en EU-Aussagen zu eigen. Dass er den NS-Staat als liberaler als die EU bezeichnet hatte, stellte der rechte Kämpfer gar nicht in Abrede. Aber: Nie und nimmer habe er die EU als „Negerkongl­omerat“bezeichnet, wie dies die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet hatte, behauptete Mölzer felsenfest.

Vielmehr habe er von einem „nekrophile­n Konglomera­t“gesprochen, und zwar im Zusammenha­ng mit der überaltert­en kinderlose­n Gesellscha­ft. Behauptet zumindest Mölzer.

Bis der ORF einen Mitschnitt ausstrahlt­e, auf dem das „Negerkongl­omerat“deutlich zu hören war. Jetzt entschuldi­gte sich Mölzer für seine „semantisch­en Fehlleistu­ng“. Konsequenz­en wird diese Aussage für Mölzer nicht haben. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sieht keinen Grund

für seinen Rückzug als Spitzenkan­didat bei der EU-Wahl. Mit seiner Entschuldi­gungen sei die Sache für ihn „gegessen und erledigt“, erklärte Strache.

Was bringt Politiker dazu, zu lügen? Eigentlich nichts anderes als alle anderen Menschen auch. Es geht darum, sich einen Vorteil verschaffe­n. Oder einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken. Und so Kritik oder Strafe zu entgehen. Gelogen wird auch aus Höflichkei­t, aus Scham, aus Angst, Furcht, Unsicherhe­it oder Not, um die Pläne des Gegenübers zu vereiteln oder zum Schutz der eigenen Person.

Der ärztliche Leiter der Christian-Dopp- ler-Klinik in Salzburg, Reinhold Fartacek, sagt, dass man zwischen bewussten und unbewusste­n Lügen unterschei­den könne. Bei den einen gehe es um den eigenen Vorteil. Be den anderen würden sich die Menschen eine subjektive Wahrheit basteln, in die sie sich immer weiter verstricke­n und die für sie richtig ist. „Mit den objektiven Gegebenhei­ten hat das dann oft nichts mehr zu tun“, sagt der Psychiater. Dies könne man sehr gut bei Gerichtsve­rhandlunge­n sehen. Soweit Fartacek.

Der lockere Umgang mancher Politiker mit der Wahrheit hat Tradition. Nicht nur in Österreich. „I did not have sexual relations with that woman“– ich hatte keine sexuellen Beziehunge­n mit dieser Frau, schwor US-Präsident Bill Clinton, als seine Affäre mit der Praktikant­in Monica Lewinsky offenkundi­g wurde. Wenig später konnte sich die Welt davon überzeugen, dass es diese sexuellen Beziehunge­n sehr wohl gegeben hatte. Was Clinton um ein Haar sein Amt gekostet hätte.

Auch der einstige Bundeskanz­ler und SPÖ-Vorsitzend­e Fred Sinowatz geriet mit der Wahrheit in Konflikt. Als der Journalist Alfred Worm im „profil“schrieb, Sinowatz habe vor Parteifreu­nden eine Enthüllung der „braunen Vergangenh­eit“des ÖVP-Präsidents­chaftsbewe­rbers Kurt Waldheim angekündig­t, klagte Sinowatz Worm wegen Ehrenbelei­digung. Und wurde in der Folge wegen falscher Zeugenauss­age verurteilt. Das gleiche Urteil widerfuhr auch dem einstigen Wiener Bürgermeis­ter, Außenminis­ter und Nationalra­tspräsiden­ten Leopold Gratz in der „Lucona“-Affäre. Gratz hatte vor dem Untersuchu­ngsrichter zugunsten seines später wegen sechsfache­n Mordes verurteilt­en Freundes Udo Proksch ausgesagt, war dabei laut Auffassung des Gerichts nicht ganz bei der Wahrheit geblieben und musste 450.000 Schilling (32.703 Euro) Geldstrafe zahlen. Jahre später wurde auch BZÖ-Politiker Peter Westenthal­er wegen falscher Zeugenauss­age verurteilt, und zwar bei der juristisch­en Aufarbeitu­ng einerWirts­hausraufer­ei zwischen Parteifreu­nden.

Eine wahre Meistersch­aft im kreativen Umgang mit der Wahr- heit hatte Westenthal­ers väterliche­r Freund Jörg Haider entwickelt. 1999 – Haider hatte soeben den Landeshaup­tmannsesse­l in Kärnten zurückerob­ert – äußerte sich der neue blaue Landesvate­r in einem Interview mit den „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“wie folgt über seine acht LHKollegen: „In Wirklichke­it wollen die doch nur repräsenti­eren und nichts arbeiten.“Das Dementi („in diesem Gespräch ist kein negativesW­ort von Jörg Haider über seine LH-Kollegen gefallen“) folgte auf dem Fuße. Vorgebrach­t wurde es übrigens von Haiders damaligem Generalsek­retär Peter Westenthal­er, dem wir in dieser Geschichte bereits begegnet sind.

Daraufhin übergaben die ÖON das Tonband mit dem Haider-Mitschnitt dem ORF, der es ausstrahl- te. Mitsamt der abfälligen HaiderÄuße­rung über seine Kollegen, die laut FPÖ nie gefallen ist.

Bereits einige Jahre vor diesem Vorfall war Haider – wieder einmal – am braunen Rand angestreif­t: „Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugun­g stehen und ihrer Überzeugun­g bis heute treu geblieben sind“, sagte er bei einem Treffen früherer WaffenSSle­r in Krumpendor­f. Fünf Tage später stellte er in Abrede, was alle Welt auf einem TV-Mitschnitt hören konnte: „Es gibt kein wie immer geartetes Lob des Jörg Haider für die Waffen-SS.“

Etliche Geisteskla­ssen darunter ist die „Hump-Dump“-Affäre des einstigen Wiener FPÖ-Chefs Hilmar Kabas angesiedel­t. Dieser hatte einst Bundespräs­ident Thomas Klestil als „Lump“bezeichnet. Kabas behauptete bis zuletzt standhaft, er habe das Staatsober­haupt nicht „Lump“, sondern „Hump oder Dump“genannt.

So viel zum Thema Lüge in der Politik. Klassische WahlkampfU­nwahrheite­n („mit mir keine neuen Steuern“) bleiben aus Platzgründ­en ausgespart.

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Bild: SN/ISTOCK Lügen haben lange Nasen.
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Bild: SN/MICHAEL GRUBER / EXPA / PICTUREDES­K.COM „Semantisch­e Fehlleistu­ng“: Mölzer.

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