Der Herrscher in Moskau hat Asthma
Die Krim ist überrannt – und jeder, der in Moskau dagegen spricht, wird heftig verfolgt. Denn der Herrscher hat Angst um seine Macht, trotz der Euphorie im Land.
Wenn die tollen Sympathiewerte des russischen Präsidenten, die zurzeit überall verkündet werden, tatsächlich so groß wären, müsste er dann seine Gegner so heftig verfolgen? Oder verhält es sich doch wie in einem alten sowjetischen Witz? Wo die Ehefrau nach der Lektüre eines medizinischen Ratgebers ihrem Mann gegenüber feststellt: „Weißt du, was wir zwanzig Jahre lang für Orgasmus gehalten haben, war in Wirklichkeit Asthma . . .“
Putin scheint überzeugt, dass es sich bei der gerade herrschende Begeisterung über die „Rückholung“der Krim nach Russland eben doch eher um Asthma handelt. Wie lässt sich sonst zum Beispiel der folgende Vorfall erklären? Professor Subov von der renommierten Moskauer Universität für Internationale Beziehungen wird am Beginn dieser Woche wegen „amoralischen Verhaltens“entlassen. Er hatte die Invasion der Krim und das innerhalb von zehn Tagen eilig durchgeführte Referendum kritisiert. Die Studenten seiner Universität waren vor einer Woche zu einem Jubelkonzert vergattert worden, bei dem man die Eingliederung der Krim feiern sollte. Ein Schelm, der sich da an alte sowjetische Vorgehensweisen aus eigentlich längst überwunden gemeinten Zeiten erinnert fühlt.
Putin lässt also etwas feiern, das gegen das Völkerrecht verstößt und im Übrigen weder der Krim noch Russland viel Gutes bringen wird – worüber in Moskau und in den russischen Medien allerdings dezent geschwiegen wird.
Und auch die jetzt jubelndenMenschen, die meinen, nun habe man endlich dasWunschziel vieler russischer Urlauber, die Krim nämlich, wieder zurückbekommen, werden vermutlich schon in diesem Sommer feststellen müssen, dass es alles andere als angenehm ist, an einem Ort Erholung zu suchen, an dem Panzer patrouillieren und wo die Versorgung mit Strom undWasser durchaus nicht ungestört erfolgt.
DennWasser und Strom kommen über die Ukraine auf die Krim. Und wenn Russland der Ukraine die Ener- gieversorgung erschwert, dann wird die Ukraine der Krim den Strom abdrehen – und damit ist die Haupteinnahmequelle der Krim-Bewohner, der Tourismus, massiv gefährdet. Nebenbei gesagt ist es auch unwahrscheinlich, dass in ZukunftMenschen aus der Ukraine auf der Krim Urlaub machen werden – was sie bisher durchaus in ziemlich großem Ausmaß taten. Der Ausfall der wichtigsten Einnahmen für die Krim wird vonMoskau kompensiert werden müssen. Eine Kleinigkeit, kann man sagen, aber in Zeiten wirtschaftlicher Rezession trotzdem nicht so ganz unwichtig. Wladimir Putins Wut- und Panikaktion auf der Halbinsel könnte sich also als ziemlich teures Eigentor herausstellen, als Asthma eben! Susanne Scholl hat von 1991 bis 2009 für den ORF aus Moskau berichtet und lebt jetzt als freie Journalistin und Schriftstellerin in Wien. www.salzburg.com/scholl