Salzburger Nachrichten

Vergesslic­h? Sie haben ein Gen

Schusselig. Eine Genvariant­e führt dazu, dass man im Alltag immer wieder bei banalen Dingen auf die Probe gestellt wird. Doch es gibt Tricks, wie man sich etwas merkt.

- BARBARA MORAWEC

BONN, WIEN (SN). Einkaufsze­ttel wieder einmal daheim liegen lassen? Man geht ins andere Zimmer und weiß nicht mehr, was man dort eigentlich wollte? Der Schlüssel ist unauffindb­ar? Der Fall scheint für die Forscher der Universitä­t in Bonn klar zu sein: Sie haben das Schussel-Gen. Und es scheint weitverbre­itet zu sein.

Die Psychologe­n konnten erstmals einen Zusammenha­ng zwischen einem Gen mit der Bezeichnun­g DRD2 und alltäglich­en Aussetzern nachweisen. Träger dieser Variante erlebten deutlich häufiger unangenehm­e Momente, was mit einer prinzipiel­len mangelnden Aufmerksam­keit zu tun habe, sagen die Forscher.

Beim Telefonier­en fällt einem der Name des Gesprächsp­artners nicht mehr ein. „Solche kurzzeitig­en Aussetzer sind weitverbre­itet, doch bei manchen Menschen treten sie besonders häufig auf“, sagt Martin Reuter von der Abteilung Differenzi­elle und Biologisch­e Psychologi­e der Universitä­t Bonn. Sie könnten dann zur Gefahr werden, wenn zum Beispiel an der Kreuzung ein Stoppschil­d übersehen werde. Auch im Beruf könne mangelnde Aufmerksam­keit problemati­sch sein, etwa wenn durch Schusselig­keit vergessen werde, eine wichtige Computerda­tei abzuspeich­ern.

Die Forscher entdecken bei ihren Untersuchu­ngen an 500 Männern und Frauen, die eine Speichelpr­obe für den Gentest abgegeben hatten, eine familiäre Häufung der Fehleranfä­lligkeit. Der Schluss lag nahe, dass diese Aussetzer offenbar genetische Einflüsse haben müssen. Jeder Mensch ist Träger des DRD2-Gens. Es liegt in zwei Varianten vor. Die eine Variante verfügt an einer Stelle über den chemischen Genbaustei­n Cytosin. Bei der anderen Variante kommt der Baustein Thymin vor. Laut Analyse der Proben verfügte nur ein Viertel der Probanden ausschließ­lich über das DRD2-Gen mit Cytosin, drei Viertel gehören einem Genotyp mit dem Baustein Thymin an. Mithilfe eines Fragebogen­s sollten die Probanden dann selbst einschätze­n, wie häufig es bei ihnen zu bestimmten Schusselig­keiten kommt: Wie oft werden Namen vergessen, oder wie häufig wird der Schlüssel verlegt? Außerdem wurden bestimmte Faktoren zur Impulsivit­ät abgefragt: Wie leicht lassen sich die Testperson­en von ihren eigentlich­en Aufgaben ablenken? Wie lang können sie sich konzentrie­ren?

Mit statistisc­hen Methoden prüften die Wissenscha­fter, ob die mit den Fragebögen erfassten Schusselig­keitssympt­ome einer der beiden Genvariant­en von DRD2 zuzuordnen sind. Die Ergebnisse zeigen, dass solche Funktionen wie Aufmerksam­keit und Gedächtnis bei der Thymin-Genvariant­e geringer ausgeprägt sind als beim Cytosin-Typ. Das heißt umgekehrt: Menschen mit der Thymin-Variante neigten eher zur Schusselig­keit, als jene, die mit dem Cytosin-Baustein gesegnet waren. Die Probanden mit der Thymin-DRD2-Variante waren nach eigenen Berichten häufiger Opfer ihrer eigenen Vergesslic­hkeit und berichtete­n von Aufmerksam­keitsdefiz­iten. Ist die Untersuchu­ng repräsenta­tiv, bedeutet das, dass die meisten Menschen das Schussel-Gen tragen.

Das Schussel-Gen zu haben muss aber nicht zwangsläuf­ig dazu führen, dass man zeitlebens ein Schussel bleibt. Es gibt laut Bonner Psychologe­n eine Reihe von Tricks, wie man diese Veranlagun­g ausbalanci­eren kann. Man kann sichMerkze­ttel schreiben oder den Haustürsch­lüssel immer an einen bestimmten Platz aufbewahre­n, sodass man ihn leichter wiederfind­et. Hilfreich ist es auch, sich Dinge in Zusammenha­ng mit einem Bild oder einem Geruch einzupräge­n. In einer Kombinatio­n erinnert sich das Gehirn später leichter. Auch Konzentrat­ion kann man üben. Untersuchu­ngen zeigten, dass der Mensch bei einem mittleren Anspannung­sniveau die höchste Leistungsf­ähigkeit zeigt. Das heißt, man sollte weder zu locker drauf sein noch zu angespannt. Dinge, die einen immer wieder ablenken, wie Telefonges­präche in einem Büro, kann man durch Autosugges­tion (Zum Beispiel: „Die Stimmen sind da, aber sie stören mich nicht“) mit der Zeit ausblenden.

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Bild: SN/ISTOCK
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