Salzburger Nachrichten

EinAuge zudrücken beim Blick auf Chinas Regime

Nobelpreis­träger. Mo Yan erzählt vom Leben im kommunisti­schen China. Doch wie vertragen sich Literatur und Kompromiss­e?

- ANTON THUSWALDNE­R

SALZBURG (SN). ImJahr 1969 sah es nicht gut aus für den kleinen Mo Yan, den späteren Nobelpreis­träger. Er war dreizehn Jahre alt, war der Schule verwiesen und hatte keine Zukunft vor sich. Überhaupt porträtier­t sich der Erwachsene im Rückblick von Jahrzehnte­n als Unglücksra­be: „Von klein auf war ich nichtswürd­ig, hatte immer Pech, machte mich mit unüberlegt­en Kommentare­n zum Narren und wurde nicht selten Opfer meiner eigenen Bauernschl­auheit“, schreibt er in seinem nun auf Deutsch erschienen­en Buch, in dem er von seiner Jugend, den Hinderniss­en im Beruf und vom Leben unter dem kommunisti­schen Regime erzählt.

Der 13-Jährige drückt sich auf dem Schulhof herum, wird regelmäßig vertrieben, allmählich geduldet. Der junge Mo ist zum Beobachten verdammt. Sein Schicksal, scheint es, ist besiegelt, ein Verlierer, auf dem die anderen wohl herumtramp­eln werden.

Und die anderen? He Zhiwu ist auch so einer, der nur Häme erfährt. In einem Aufsatz schreibt er über seine Erwartunge­n an die Zukunft: „Ich habe nur einen einzigen Traum! Und das ist: Ich möchte Lu Wenlis Papa sein.“Wie? Der Papa einer Mitschüler­in? Er macht sich zum Gespött der Schüler, zum Hassobjekt des Lehrers. Er verkehrt die Niederlage in einen Triumph und verlässt erhobenen Hauptes die Schule. Jetzt wird er bewundert, aber auch ihm scheint die Zukunft wegzubrech­en.

Wer ist diese Lu Wenli, dessen Vater der Jugendlich­e gern wäre? Sie geht als Schönheit durch, doch vor allem bekommt sie Glanz durch ihren Vater, den Lastwagenf­ahrer, ein Traumberuf damals, 1969, in China.

Die Verhältnis­se sind geklärt, die Figuren, deren Weg Mo Yan jetzt verfolgt, sind knapp vorgestell­t. Am Ende sehen die Verhältnis­se vollkommen anders aus, und das ist der historisch­en Entwicklun­g geschuldet. He Zhiwu, der Verhöhnte, bringt es zu Wohl- stand. Zu Zeiten Maos war sein Schicksal fest gefügt. Er gehörte zu den Verfemten. Viele Jahre später, China hat sich der kapitalist­ischen Marktwirts­chaft geöffnet, schafft er es, weil er rasch auf die neuen Verhältnis­se reagiert. Das schöne Mädchen von ehemals, das Glückskind, heiratet einen Parteifunk­tionär, einen gewalttäti­gen Säufer, der sich auf seinemMoto­rrad umbringt. Jetzt heiratet sie den früheren Lehrer, den sie immer für widerlich gehalten hat. Mo Yan selbst geht zur Armee, beginnt zu schreiben, hat Erfolg, darf studieren.

Was lernen wir daraus? Die Mächtigen und Stolzen stürzen, die Underdogs schaffen den Aufstieg. Würde Mo Yan das auf dem Hintergrun­d der politische­n Verhältnis­se deutlich machen, hätten wir einen aufregend starken Text. Aber ihn hat der Mut verlassen. Politische Daten stehen höchstens als Wegmarken im Raum, sie bedeuten nichts für die Menschen. Das Massaker auf dem Platz des Himmlische­n Friedens? „Aber es dauerte nicht lange, und die Studentenu­nruhen begannen. Die Lage spitzte sich zu.“Kein Wort mehr. Die Verhältnis­se unter Mao, die Disziplini­erungskamp­agnen an Schulen etwa, die MoYan, der Literaturn­obelpreist­räger von 2012, hautnah erfahren hat? Mildtätige­s Schweigen.

Das überrascht, zumal sich er, sobald er in die Geschichte Chinas zurückgeht, jede Rücksichtn­ahme auf ein empfindlic­hes Publikum versagt. Kritik an den historisch­en Verhältnis­sen übt er unnachsich­tig und bleibt bei allen Grausamkei­ten im Namen der Politik hart dran. Das China zu seinen Lebzeiten aber sieht harmlos aus. Literatur und Kompromiss­e vertragen sich schlecht. Das ist hier nachzulese­n.

Buch: Mo Yan, Wie das Blatt sich wendet – Eine Erzählung aus meinem Leben. Übersetzun­g Martina Hasse, Hanser.

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Bild: SN/AP Mo Yan
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