Salzburger Nachrichten

Missbrauch und katholisch­e Sexualmora­l

Nach wie vor wird traditione­ll in isolierten sexuellen Einzelhand­lungen gedacht, unabhängig von den Folgen

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DR. NORBERT SCHAUER, Salzburg Im Februar 2014 kritisiert­e der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf den Vatikan wegen seines zögerliche­n Verhaltens bei der Aufklärung der Missbrauch­sfälle. Das UNO-Komitee übte auch Kritik an der traditione­llen katholisch­en Sexualmora­l. Der Vatikan seinerseit­s klagte über einen „versuchten“Eingriff in seine Lehre.

Die Missbrauch­sfälle zeigten in eklatanter Weise die Schwächen des Denkens der katholisch­en Sexualmora­l in isolierten sexuellen Einzelhand­lungen unabhängig von deren Folgen auf. Die Sexualmora­l normiert das gesamte sexuelle Handlungsf­eld im Sinne isolierter sexueller Einzelhand­lungen. Sie denkt streng in Pflichten und Verboten und macht das, was immer und unter allen Umständen falsch ist, daran fest, ob der sexuelle Akt auf Fortpflanz­ung hin offen ist und innerhalb einer katholisch­en Ehe stattfinde­t.

Eheliche Beziehung und Fortpflanz­ung entscheide­n darüber, ob der Akt in sittlich „geordneter“oder „ungeordnet­er“Weise vollzogen wird. Der Hauptakzen­t liegt allein auf der physiologi­schen Struktur des einzelnen sexuellen Akts und auf der Unterschei­dung zwischen Unzuchtssü­nden innerhalb der Natur, die den Zeugungszw­eck wahren, aber außerhalb der Ehe stattfinde­n („naturgemäß­e Unzuchtssü­nden“), und Unzuchtssü­nden gegen die Natur, bei denen der Zeugungszw­eck ausgeschlo­ssen wird („naturwidri­ge Unzuchtssü­nden“). tung der Missbrauch­sfälle kam es zu einem Aufeinande­rprallen divergiere­nder Normierung­sansätze und Werthierar­chien im Bereich des Sexuellen. Die Gesellscha­ft und der Strafrecht­sgesetzgeb­er interessie­ren sich nicht für „unkeusche“Handlungen als solche, sondern für die gravierend­en Folgen der Handlungen für das Kind – für Verletzung­en seiner Psyche, für mögliche Störungen seiner psychosexu­ellen Entwicklun­g und für die Asymmetrie der Beziehung, die als Machtausüb­ung gegenüber einer verletzbar­en Person empfunden wird. Dies macht das Kind zu einem „Opfer“.

Diese Anliegen haben in der trad. Sexualmora­l von einem „geordneten“bzw. „ungeordnet­en“Gebrauch der Geschlecht­skraft wenig Bedeutung. Auf Ebene der gesellscha­ftlichen Wirklichke­it haben sich neue Werte herauskris­tallisiert, die den Umgang mit Sexualität normieren. Es handelt sich dabei um Autonomie/Recht auf Selbstbest­immung, Gerechtigk­eit/Egalität sowie Authentizi­tät in der Beziehung und um eine gewachsene Sensibilit­ät für die Wahrung physischer und psychische­r Integrität. Diese Grundwer- te sind heute universell anerkannt. Im Rahmen dieses gesellscha­ftlichen und rechtliche­n Prozesses wurden sexualspez­ifische Normen abgebaut und durch allgemeine, an Menschenwü­rde und Menschenre­chten orientiert­e Normvorste­llungen ersetzt.

Forderung nach einer erneuerten Sexualmora­l: Obwohl es eine erneuerte Sexualmora­l seit drei Generation­en akademisch­er Moraltheol­ogen gibt, wird diese vom Lehramt in Rom nicht hinreichen­d zur Kenntnis genommen. Eine erneuerte Sexualmora­l kann nicht daran vorbei, „neue“gesellscha­ftlich etablierte Normen, die sich an menschenre­chtlichen Grundwerte­n orientiere­n, in ihr Sexualetho­s zu integriere­n. Es ist nicht mehr möglich, den gesamten Inhalt der sexualethi­schen Forderunge­n als Teil eines universell einforderb­aren Naturrecht­s anzusehen.

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