Die Mauer des Schweigens
100 Tage NSU-Prozess. Das Beweisverfahren im Münchner Prozess um die Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds kommt nur mühsam voran.
MÜNCHEN (SN, dpa). Es sind Bilder, die sich immer irgendwie wiederholen, und das seit genau 100 Tagen. Eine Seitentür zum Gerichtssaal A 101 im Münchner Justizgebäude öffnet sich, es erscheint die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (38), die Objektive der Kameras lauern, sie dreht sich sofort weg und verschanzt sich im Kreis ihrer Anwälte. Der Mitangeklagte Holger G. hält einen Aktenordner vors Gesicht, Carsten S. verschwindet in seinem Kapuzenshirt. Nur André E. und Ralf Wohlleben geben sich gelassen.
Richter Manfred Götzl kommt, sagt vier Mal „Guten Morgen“, mit mildem fränkischen Akzent, in alle Richtungen des Saals. Angehörige der Opferfamilien sitzen im Saal, obwohl ihnen die Strafprozessordnung eine aktive Teilnahme am Prozess verwehrt. Das ist den Vertretern der Nebenkläger überlassen, doch nur zu oft prallen ihre Fragen an den Zeugen ab. Rechtsanwältin Doris Dierbach vertritt Angehörige eines der neun Ermordeten aus dem Kreis türkischer und griechischer Geschäftstreibender. Sie sagt: „Manchmal verlässt man einen Prozess sehr unbefriedigt. Man weiß, ein Zeuge hat bewusst gelogen, und es gelingt nicht, das aufzuzeigen.“
Beate Zschäpe schweigt. Sie gilt der Bundesanwaltschaft als Mittäterin bei der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“(NSU), bei der als zehntes Opfer auch eine Polizistin getötet wurde. Zschäpe habe den eigentlichen Todesschützen Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos die bürgerliche Fassade gesichert. Die anderen vier Angeklagten gelten als Beitragstäter.
Nach 100 Tagen, denen
bis ins Jahr 2015 noch mehr als 100 folgen dürften, ist eine gewisse Routine eingekehrt. Stück für Stück, Zeuge für Zeuge versucht man im Beweisverfahren in diesem spektakulärsten Prozess Deutschlands die Hintergründe auszuloten. Oft ist das mühsam, wenn ein Zeuge gar nichts mehr wissen oder sagen will. Da tritt etwa eine Frau aus der Jenaer Neonazi-Szene auf, die seinerzeit den drei NSU-Mitgliedern beim Untertauchen geholfen hat. Sie war auch in Zschäpes Wohnung. „Was haben Sie mitbekommen?“, fragt der Vorsitzende. „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht“, lautet die Antwort. Bundesanwalt Herbert Diemer sagt: „Überragende Bedeutung messen wir der Tatsache zu, dass die terroristischen Verbrechen der NSU nun in einer öffentlichen Hauptverhandlung auch gerichtlich umfassend geklärt werden.“Rechtsanwalt Yavuz Narin vertritt die Hinterbliebenen eines ermordeten griechischstämmigen Geschäftsmannes. Er sieht es realistisch: „Wir kratzen an einer Mauer des Schweigens. Wenn wir diese Mauer noch lange genug bearbeiten, werden wir Erfolge erzielen können.“