Salzburger Nachrichten

Nicht jeder Kompromiss aus Brüssel ist faul

Der Postenscha­cher um die Spitzenämt­er der EU scheint oft willkürlic­h. Hinter den Entscheidu­ngen steckt aber durchaus System.

- Stephanie Pack STEPHANIE.PACK@SALZBURG.COM

Erstmals in der Geschichte der Europäisch­en Union werden die Staats- und Regierungs­chefs den Präsidente­n der Kommission nicht im Konsens bestimmen, sondern in einer Abstimmung. Jean-Claude Juncker wird beim morgigen EU-Gipfel aller Voraussich­t nach ohne Zustimmung von Großbritan­nien und Ungarn für das Amt nominiert werden. Als eine seiner Prioritäte­n hat der Luxemburge­r festgelegt, „eine faire Einigung“bei den Anliegen der Briten zu finden. Auch der Rat will mit seiner Agenda für die kommenden Jahre auf deren Wünsche eingehen.

Warum aber will es die EU allen recht machen? Sogar den Briten, die sich tendenziel­l gegen jegliches Mehr an Gemeinsamk­eit und Integratio­n sträuben? Weil der Konsens schlichtwe­g die Grundlage für das Funktionie­ren der Europäisch­en Union ist.

Den soll es nun zumindest bei der Besetzung der übrigen Spitzenpos­ten geben. Das ungeschrie­bene Gesetz dabei lautet: Alle Länder und beide Geschlecht­er sollen berücksich­tigt werden und die großen Parteifami­lien zum Zug kommen. Im Rennen sind daher vor allem Vertreter jener Parteien, die die Staats- und Regierungs­chefs stellen. Weil die große Mehrheit Konservati­ve oder Sozialdemo­kraten sind, werden die Spitzenpos­ten unter ihnen ausgemacht. Das hat insofern eine Berechtigu­ng, als die Staats- und Regie- rungschefs in ihren Heimatländ­ern in der Regel von den Parlamente­n gewählt und so legitimier­t wurden.

Bei der Vergabe der Spitzenpos­ten werden außerdem alle Länder berücksich­tigt – oder vielmehr Blöcke von Ländern. Die Entscheidu­ng für Jean-Claude Juncker als Kommission­spräsident ist die Entscheidu­ng für einen Politiker aus einem kleinen Mitgliedss­taat in Kerneuropa. Mit der Dänin Helle Thorning-Schmidt als Ratspräsid­entin wären die skandinavi­schen Länder vertreten, mit einem spanischen Eurogruppe­n-Chef Luis de Guindos die Südeuropäe­r. Für die osteuropäi­schen Nationen bleibt so nur mehr der Posten des EU-Außenbeauf­tragten, was die kolportier­te Ernennung der Italieneri­n Federica Mogherini unwahrsche­inlich macht.

Bei 28 Teilnehmer­n am Verhandlun­gstisch muss die Besetzung der Spitzenpos­ten letztlich ein Kompromiss sein. Dabei ist es legitim, dass jedes Land seine Wunschkand­idaten durchsetze­n will – allerdings nicht auf erpresseri­sche Weise, wie es David Cameron versucht hat. Dass er damit gescheiter­t ist, zeigt vor allem eines: Wer in den Brüsseler Hinterzimm­ern einen faulen Kompromiss sucht und zu hoch pokert, kann auch leer ausgehen.

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