Nicht jeder Kompromiss aus Brüssel ist faul
Der Postenschacher um die Spitzenämter der EU scheint oft willkürlich. Hinter den Entscheidungen steckt aber durchaus System.
Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union werden die Staats- und Regierungschefs den Präsidenten der Kommission nicht im Konsens bestimmen, sondern in einer Abstimmung. Jean-Claude Juncker wird beim morgigen EU-Gipfel aller Voraussicht nach ohne Zustimmung von Großbritannien und Ungarn für das Amt nominiert werden. Als eine seiner Prioritäten hat der Luxemburger festgelegt, „eine faire Einigung“bei den Anliegen der Briten zu finden. Auch der Rat will mit seiner Agenda für die kommenden Jahre auf deren Wünsche eingehen.
Warum aber will es die EU allen recht machen? Sogar den Briten, die sich tendenziell gegen jegliches Mehr an Gemeinsamkeit und Integration sträuben? Weil der Konsens schlichtweg die Grundlage für das Funktionieren der Europäischen Union ist.
Den soll es nun zumindest bei der Besetzung der übrigen Spitzenposten geben. Das ungeschriebene Gesetz dabei lautet: Alle Länder und beide Geschlechter sollen berücksichtigt werden und die großen Parteifamilien zum Zug kommen. Im Rennen sind daher vor allem Vertreter jener Parteien, die die Staats- und Regierungschefs stellen. Weil die große Mehrheit Konservative oder Sozialdemokraten sind, werden die Spitzenposten unter ihnen ausgemacht. Das hat insofern eine Berechtigung, als die Staats- und Regie- rungschefs in ihren Heimatländern in der Regel von den Parlamenten gewählt und so legitimiert wurden.
Bei der Vergabe der Spitzenposten werden außerdem alle Länder berücksichtigt – oder vielmehr Blöcke von Ländern. Die Entscheidung für Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident ist die Entscheidung für einen Politiker aus einem kleinen Mitgliedsstaat in Kerneuropa. Mit der Dänin Helle Thorning-Schmidt als Ratspräsidentin wären die skandinavischen Länder vertreten, mit einem spanischen Eurogruppen-Chef Luis de Guindos die Südeuropäer. Für die osteuropäischen Nationen bleibt so nur mehr der Posten des EU-Außenbeauftragten, was die kolportierte Ernennung der Italienerin Federica Mogherini unwahrscheinlich macht.
Bei 28 Teilnehmern am Verhandlungstisch muss die Besetzung der Spitzenposten letztlich ein Kompromiss sein. Dabei ist es legitim, dass jedes Land seine Wunschkandidaten durchsetzen will – allerdings nicht auf erpresserische Weise, wie es David Cameron versucht hat. Dass er damit gescheitert ist, zeigt vor allem eines: Wer in den Brüsseler Hinterzimmern einen faulen Kompromiss sucht und zu hoch pokert, kann auch leer ausgehen.