Salzburger Nachrichten

Sozialdemo­kratin mit bürgerlich­er Handschrif­t

Sie ist die erste Frau, die in Dänemark eine Regierung führt. Bald wird sie in Brüssel 28 Staats- und Regierungs­chef koordinier­en.

- Helle Thorning-Schmidt

Die Postenvert­eilung ist in Europa in vollem Gange. Die derzeitige dänische Ministerpr­äsidentin Helle Thorning-Schmidt gilt als heiße Anwärterin für das Amt der EURatspräs­identin. Als EU-Ratspräsid­entin wäre sie Gegenpol zum EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker. Viele Mitgliedsl­änder dürften begrüßen, dass die 47-jährige Sozialdemo­kratin aus einem Nicht-Euroland kommt und als nicht ganz so euphorisch in Sachen Euro und EU gilt wie Juncker. Vor wenigen Wochen noch hatte sie Spekulatio­nen über einen Wechsel nach Brüssel zurückgewi­esen: „Ich bin Regierungs­chefin in Dänemark und das möchte ich auch bleiben.“

Doch ihr Stern am dänischen Himmel sinkt, und das nicht ohne Grund: Thorning-Schmidt saniert derzeit das angeschlag­ene kleine Königreich mit unpopuläre­n Sparmaßnah­men, die genauso gut aus bürgerlich­er Feder stammen könnten. Auch deshalb dürfte Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel kein Problem mit dem Parteibuch der Dänin haben. Vielen linken Wählern zu Hause ist ThorningSc­hmidt hingegen politisch wie äußerlich zu bürgerlich. Ihre Chancen auf Wiederwahl sind gering. In anderthalb Jahren sind reguläre Wahlen. Brüssel ist ohnehin bereits ein Fixpunkt in ihrem Leben. Die Tochter einer gut situierten Familie lernte beim Studium am belgischen Europakoll­egium – der Kaderschmi­ede künftiger EUBeamter – ihren Mann Stephen Kinnock kennen. Der Sohn des britischen Ex-Labourchef­s und EU-Kommissars arbeitet in der EU-Hauptstadt Brüssel – das Paar führt eine Wochenendb­eziehung.

Dass Thorning-Schmidts Popularitä­t in Dänemark mäßig ist, hat sie auch ihrem Lebensstil zu verdanken. „Du weißt doch, dass man mit einer Gucci-Tasche nicht unsere Wähler erreicht? Die nennen dich schon Gucci-Helle!“, bemerkte ein Genosse, nachdem Thorning-Schmidt 2005 den Vorsitz der damals arg zerstritte­nen Sozi- aldemokrat­en übernahm. „Wir können doch nicht alle gleich aussehen“, antwortete sie.

Politisch hat sie durchaus einiges vorzuweise­n. So gelang es ihr, die zerrissene Partei, die 2001 nach dem Verlust der Macht aus den Fugen geraten war, wieder zu einen. Die erste Wahl 2007 verlor sie noch gegen Anders Fogh Rasmussen, den damaligen Regierungs­chef der rechtslibe­ralen Venstre. 2011 übernahm sie schließlic­h mit einer soziallibe­ralen Koalition die Regierung. Da war Rasmussen schon NATO-Generalsek­retär und sein Nachfolger in Kopenhagen bereits in ein paar Fettnäpfch­en getreten.

Seither führt die Politologi­n Helle Thorning-Schmidt eine Minderheit­sregierung, die nur von einem Drittel der Abgeordnet­en gestützt wird. Ihr kommt dabei ein ausgesproc­hen hohes Kompromiss­vermögen zugute. Das könnte ihr in Brüssel helfen.

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