Sarajevo verbindet Völker
An diesem Tag in dieser Stadt, das war ihnen wichtig: Die Wiener Philharmoniker spendieren Sarajevo im ehemaligen Rathaus zum Gedenken an das Attentat am 28. Juni 1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste, ein Konzert.
Die Wiener Philharmoniker spielen in Sarajevo ein Konzert, ganz ohne Gage, und die Welt schaut zu. Es war ein Anliegen und eine Eigeninitiative von Österreichs musikalischem Aushängeschild, sagt Clemens Hellsberg, Vorstand der Philharmoniker. Der Geiger ist ja auch Historiker, und schon „vor vier oder fünf Jahren“sei die Idee zu diesem Konzert aufgekommen, als noch niemand an diesen speziellen Jahrestag dachte. Am 28. Juni 1914 geschah in Sarajevo ein Attentat, das in weiterer Folge zum Großen Krieg führte, den man heute den ErstenWeltkrieg nennt.
Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie Chotek fielen den Schüssen eines Attentäters zum Opfer. Genau 100 Jahre später findet in Sarajevo eine Gedenkveranstaltung der be- sonderen Art statt. Es sei „mehr als ein Konzert“, sagt Clemens Hellsberg.
DieWiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Franz Welser-Möst, auch der Chor des Bosnischen Nationaltheaters wird mitwirken. Der Symbole nicht genug, als Ort für das Konzert wurde die Vijećnica gewählt, das ehemalige Rathaus von Sarajevo. Es ist seit 1948 Sitz der National- und Universitätsbibliothek. Während der Belagerung der Stadt im Bosnienkrieg wurde das Gebäude 1992 schwerst beschädigt, zahllose Bücher von unschätzbarem Wert wurden für immer zerstört. Erst vor Kurzem ist dasGebäude restauriert und in neuem Glanz wiedereröffnet worden. Franz Ferdinand hatte das Gebäude am 28. Juni 1914 zwischen dem ersten gegen ihn gerichtetenAttentatsversuch und dem zweiten, tödlichen Attentat besucht. Da im neomaurischen Gebäude selbst nur 300 – geladene – Gäste Platz finden, wird das Gedenkkonzert derWiener Philharmoniker per Videowall nach außen übertragen. Auch öffentliche Rundfunkanstalten wie der ORF, das ZDF oder France Télévisions übernehmen die Übertragung, insgesamt haben 30 Länder an der Übertragung teil.
Clemens Hellsberg wird beim Konzert auch über das sorgsam durchkomponierte Programm reden, das man als „Zeitreise“auffassen solle. Erklärungen können nicht schaden, denn einer der Programmpunkte ist das „Kaiserquartett“von Joseph Haydn. Da haben im Vorfeld bereits Österreichs Grüne reflexartig mit Einwänden reagiert. Wie könneman das bloß spielen, und überhaupt. Hellsberg fordert im Gegenzug die jeweiligen Politiker auf, sich näher damit zu befassen.
Die wunderschöne, von einem kroatischen Volkslied inspirierte Musik zu „Gott erhalte . . .“hat Haydn komponiert für das Kaiserreich, aber auch eine Fassung mit Variationen für Streichquartett daraus gemacht. „Eine brillante Idee, vom Pathos zur Intimität“, wie Hellsberg es nennt. Gespielt wird der zweite Satz mit denVariationen.
Als Auftakt gibt es die Nationalhymne von Bosnien und Herzegowina, die Dušan Šestić 1999 komponierte für das in sich zerrissene Land. Auch Schuberts „Unvollendete“sei einWerk voller Abgründe, und erst recht Alban Bergs Marsch aus den Drei Orchesterstücken, „eine Schreckensvision des Krieges“. Das „Schicksalslied“von Brahms wird vom Chor des Bosnischen Nationaltheaters gesungen, der Hölderlintext ende zwar „fast nihilistisch, wird aber von Brahms kommentiert“, erläutert der Musikwis- senschafter Hellsberg. Und dann folge mit Ravels „LaValse“die „Apotheose, das Resümee einer Epoche“. Zum Abschluss wird die „EuropaHymne“gespielt. Die ist nichts anderes als Beethovens Ode an die Freude, von der Herbert von Karajan eine Orchesterfassung hergestellt hat.
Der 28. Juni 2014 ist aber auch ein Tag des Zusammentreffens mehrerer hochrangiger europäischer Politiker. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer trifft mit Staatsratspräsidiumsvorsitzenden Bakir Izetbegović und Bürgermeister Ivo Komšić zusammen und hat tags darauf auch mit dem Präsidenten der Republik Mazedonien, Gjorge Ivanov, ein Arbeitsfrühstück.
Konzert.