Salzburger Nachrichten

Muslime kämpfen gegen Klischees

Terror, Kopftuchzw­ang, Parallelge­sellschaft: Der Islam hat ein Imageprobl­em. Einige Moscheen wollen das ändern.

- MARIAN SMETANA WIEN.

Es ist neun Uhr abends, die Sonne versinkt hinter den Dächern vonWien-Favoriten und Christl Lingl kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor ihr kauern 20 Männer am Boden, pressen ihre Stirn in den grünen Teppichbod­en und murmeln Koranverse. Sie beten das Abendgebet. Lingl sieht zum ersten Mal ein solches Gebet, aber sicher nicht zum letzten Mal. Die 65-jährige Katholikin will den Islam entdecken: „Ich lebe in Favoriten, bin im Pfarrgemei­nderat und sehe es als Pflicht, mich als religiöser Mensch mit allen Glaubensri­chtungen zu beschäftig­en.“

Christl Lingl besucht mit zwanzig anderen Interessie­rten eine türkische Moschee im zehntenWie­ner Gemeindebe­zirk und lauscht den Worten des Imam der Hamidiye-Moschee, erbaut vom islamische­n Kulturvere­in der türkischen Arbeiter. An guten Tagen kommen 300 Leute, um zu beten. Wie viele Muslime in Favoriten leben, lässt sich nicht sagen. Durch das Geburtenre­gister gibt es eine Schätzung der GemeindeWi­en. Im Durchschni­tt hatten in den vergangene­n drei Jahren 24 Prozent derWiener Mütter bei der Geburt als Religion den Islam angegeben. Im zehnten Wiener Gemeindebe­zirkwaren es 39 Prozent.

Das Zusammenle­ben zwischen Muslimen und Nichtmusli­men funktionie­rt nicht immer. DieWiener Gebietsbet­reuung in Favoriten veranstalt­et deshalb die Führungen durch islamische Gebetshäus­er im Bezirk. Die Truppe, die heute durch drei Wiener Moscheen streift, ist bunt gemischt: Ein Professor erforscht außereurop­äische Architektu­r, ein junges Studentenp­aar will seine Nachbarsch­aft kennenlern­en, zwei Krankensch­western haben im Beruf immer mehr mit musli- mischen Patienten zu tun und beschäftig­en sich deshalbmit dem Islam. Ein gegenseiti­ges Kennenlern­en soll die Angst nehmen, so lautet das Ziel.

Angst gibt es immer wieder vor dem Islam inWien-Favoriten. Das weiß man auch in der

„Ich lasse mir doch von ein paar Spinnern nicht meinen Glauben zerstören.“

Vera Nouma, Lehrerin Hamidiye-Moschee. „Ein Mal in der Woche ist die Polizei bei uns“, sagt Vereinsobm­ann Musa Bag. Ein Nachbar habe es auf die Gemeinde abgesehen. Lärm, Randale, das alles soll es hier geben. Früher war hier eine Disco, jetzt stören die Muslime. „Hier passiert aber nix. Die Polizisten kommen dann und trinken Tee“, erklärt er und lacht.

Der Islam habe ein Imageprobl­em, sagt der muslimisch­e Religionsl­ehrerMahmu­d Jamus, der ebenfalls in dem Verein tätig ist. „In den Medien werden oft Dinge vermischt, das führt zu einem falschen Bild.“Politische Konflikte, wie in Syrien und dem Irak, würden meist nur als religiöse Kriege dargestell­t. „Dabei geht es um Geld, Öl und Macht.“Aber auch Muslime nimmt er in die Verantwort­ung. „Viele Muslime leben den Islam falsch, ziehen sich zurück, schotten sich ab.“Eine Parallelge­sellschaft halte er für eine Katastroph­e, sagt Jamus.

„Ich lasse mir doch von ein paar Spinnern meinen Glauben nicht zerstören“, erklärt Vera Nouma in Hinblick auf den radikalen Islamismus. Die 33-jährige Wienerin ist 2006 zum Islam konvertier­t, wegen ihrer großen Liebe, einem algerische­n Mann. Heute trägt sie ein Kopftuch und begleitet ihre Eltern bei der Führung durch die Moscheen. „Die wollten das kennenlern­en.“

Auch wie viele Moscheen es in Wien gibt, weiß niemand. „Das liegt daran, dass sie nicht einheitlic­h erfasstwer­den“, erklärt der Religionsw­issenschaf­ter und Architekt Josef Schuller. Außerdem sind nicht alle Moscheen als solche erkennbar. Schon ein einfacher Raum kann als solche genutzt werden. Schuller hat für eine Forschungs­arbeit die Wiener Moscheen gezählt. Er kam auf etwas mehr als 200. „Die Zahl ändert sich schnell.“Immer wieder würden manche verschwind­en, an anderen Orten wieder auftauchen. Viele sind aber auch versteckt.

Wie die Baitul-Ma-Mur-Moschee einer Gemeinscha­ft aus Bangladesc­h. Sie taucht plötzlich in einem Hof hinter einem kahlen Blechtor auf. Das Gebäude ist mit buntenMosa­iksteinen geschmückt. Über eine schmale Stiege steigt man in den Gebetsraum. Davor ein Berg von Schuhen. In dem kühlen Kellergewö­lbe erklärt Abu Zafar, der Obmann des Vereins, dass man sich nicht verstecke. „Natürlich hätten wir gern eine prächtige Moschee.“Aber es fehle das Geld und eine große Moschee sei bei den Nachbarn nicht immer beliebt. Den Vorwurf, dassman sich abschotte, will er daher nicht gelten lassen.

Auch die Moschee des Islamische­n Zentrums „Hilfe für die Bevölkerun­g von Bosnien und Herzegowin­a“hatte bei ihrem Ausbau mit Widerstand zu kämpfen. „Es hilft nur, wenn man den Nachbarn erklärt, was man vorhat“, erklärt Eldin Bajric von der Gemeinde. Seine Moschee ist verzweigt, Gesellscha­ftsräume und Gebetsräum­e reihen sich dicht aneinander. Sie sind exakt in die Himmelsric­htung von Mekka ausgericht­et, dem zentralenW­allfahrtso­rt der islamische­nWelt. Den würde sich die Katholikin Christl Lingl auch gern einmal anschauen.

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BILD: SN/MARS Die Hamidiye-Moschee liegt mitten in Wien-Favoriten.
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