ZumZusammenhalten verdonnert
Die EU-Kommission will die aktuelle Ukraine-Krise nutzen, um die Mitgliedsstaaten von den Vorteilen einer engeren Zusammenarbeit in der Energiepolitik zu überzeugen.
In Brüssel herrscht dieser Tage wenig Begeisterung, wenn die Rede auf die umstrittene Gasleitung South Stream kommt. Dass der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV am Dienstag im Rahmen eines Besuchs von Russlands Präsident Wladimir Putin ein Joint Venture mit dem staatlichen Gasriesen Gazprom für ein Teilstück der Gasleitung unterschrieben hat, „nehmen wir zur Kenntnis“, sagt die Sprecherin von EUEnergiekommissar Günther Oettinger. Mit dem Zusatz: „Entscheidend ist aber, dass EU-Recht in allen relevanten Bereichen, also EnergieWettbewerbs-, Vergabe- und Umweltrecht, respektiert wird. “Das werden auch die EU-Chefs bei ihremTreffen heute, Donnerstag, und Freitag in Brüssel noch einmal betonen – ohne South Stream namentlich zu nennen.
Zu Jahresbeginn hatte der für Energie zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger noch eine Arbeitsgruppe mit Russland eingerichtet, die klären sollte, wie South Stream EU-konform gestaltet werden könnte. Denn die bilateralen Abkommen, die mit den Transitländern – darunter auch Österreich – abgeschlossen wurden, werfen aus Sicht der EU-Kommission rechtliche Probleme auf. Zwei Expertensitzungen hat es gegeben. Seit Anfang Mai herrscht jedoch Eiszeit: Denn Russland ist wegen der EU-Energiegesetze vor die WTO gezogen. „Alles steht“, heißt es in Brüssel.
Nach EU-Regeln darf ein Erdgaslieferant eine Pipeline nicht kontrollieren. Bei South Stream(50 Prozent Gazprom) wäre das der Fall. Ausnahmen sind möglich, siehe die ebenfalls von Gazprom gebaute Ostsee-Pipeline Nord Stream, manmuss allerdings vor Baubeginn darum ansuchen. Das ist bisher nicht passiert.
South Stream ist der EUKommission ein besonderer Dorn im Auge. Sie will neue Gasquellen erschließen, nicht neue Leitungen, sowie die Ukraine stabilisieren und als Gastransitland erhalten. Doch genau das will Moskau nicht und hat in den vergangenen 20 JahrenGasleitungen in Richtung Westen gebaut – alle unter Umgehung der Ukraine. South Stream sei der letzte Puzzlestein in diesem Bild, sagt Simon Blakey vomBranchenverband Eurogas.
Die EU hängt zu mehr als einem Drittel von russischem Erdgas ab, das etwa zur Hälfte durch die Ukraine fließt. Vor zehn Tagen hat Gazprom die Lieferungen an Kiew wegen offener Gasrechnungen eingestellt. Das alles erinnert an die Gaskrise im kalten Jänner 2009. Auch damals hat Russland dem ungehorsamen Nachbarland den Gashahn abgedreht. Daraufhin fiel aber auch der Druck in den europäischen Leitungen. Dass es außer in Sarajevo und Sofia zu keinen Lieferunterbrechungen kam, hatte mit der engen Vernetzung zwischen den Gasversorgern zu tun und mit Technik, sagt Blakey: „Es gab überraschend wenige Auswirkungen.“
Seither ist viel passiert, vor allem wurde die Schubumkehr in den Pipelines ausgebaut. Das bedeutet, dass Gas auch in die Gegenrichtung fließen kann – also etwa die Ukraine demnächst auch aus der Slowakei beliefert werden könnte. Zudem wurden Flüssiggas-Terminals ausgebaut, über die Gas etwa aus Katar beschafft werden kann, wenn auch derzeit sehr teuer.
Bis dato gibt es keine Lieferprobleme nach Europa. Die Ukraine will demnächst EU-Experten Zugang zu ihren Gaspipelines gewähren. „Damit gibt es in Zukunft keine Differenzen mit den Russen darüber, ob das Gas irgendwie in der Ukraine
bleibt“, sagte der ukrainische Energieminister Juri Prodan nach einem Treffen mit Oettinger am Mittwoch in Brüssel. Das volle Gasvolumen gehe nach Europa.
Ob das allerdings auch imWinter so bleiben würde, darüber herrscht Unsicherheit. Die Speicher in der Westukraine, aus denen die EU in den Wintermonaten beliefert wird, sollen bereits zu drei Fünftel voll sein. Ob diese Zahlen verlässlich sind, ist laut Eurogas jedoch unklar.
Daher drängt Oettinger auf neuerliche Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew über den künftigen Gaspreis und die offenen Rechnungen. Er will noch vor Mitte Juli ein weiteres Treffen der Energie- minister derUkraine und Russlands – und eine Lösung erreichen.
Zugleich versucht die EU-Kommission, die Gaskrise intern besser zu nutzen als 2009. Damals gab es einen Aufschrei und es wurde viel beschlossen und zum Teil umgesetzt. Aber sogar in der EU-Kommission herrscht heute die Ansicht, dass das Maßnahmepaket zu dünn war. „Wir können nach fünf Jahren nicht sagen: Wir kommen über den nächstenWinter“, räumt Klaus-Dieter Borchard, Direktor in der Generaldirektion Energie, ein. Energie sei für die Politik nach wie vor „eine sehr nationale Angelegenheit“. Nicht zu Unrecht, denn „wenn da etwas schiefgeht, sieht es im Wortsinn düster aus“.
Mittel- und langfristig will Brüssel die EU-Staaten nun dazu bringen, ihre Energieversorgung noch enger zu verzahnen, sei es in Sachen Infrastruktur, Handel oder Marktzugang. 2013 wurde eine Liste von Projekten für Gas- und Stromleitungen bzw. Interkonnektoren erstellt, die die Versorgungssicherheit in der gesamten Union verbessern würden. Der Clou dabei: Die Genehmigungsverfahren für solche sind stark verkürzt und die Kosten werden zwischen den Ländern, die davon profitieren, aufgeteilt. Nötigenfalls gibt es auch EU-Mittel.
Im Herbst plant die Kommission zudem Stresstests für die Gasversorgung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Länder wie Bulgarien, Finnland und das Baltikum hängen jedoch immer noch zu 100 Prozent am russischen Gas.