Salzburger Nachrichten

Noch weniger EU-Freunde

Der britische Premier David Cameron löst den Vernunfteu­ropäer William Hague im Außenamt durch Philip Hammond ab. So lassen sich die Euroskepti­ker aber kaum bremsen.

- LONDON. Der neue Hammond. Außenminis­ter: Philip

Die Oscarpreis­trägerin Angelina Jolie an seiner Seite, Blitzlicht­gewitter und weltweite Aufmerksam­keit für die verdrängte­n Grausamkei­ten des Kriegsallt­ags: Erst einen Monat ist es her, dass es dem britische Außenminis­ter William Hague mithilfe von Hollywood gelang, sexuelle Gewalt in Konfliktzo­nen zu einem Nachrichte­nthema zu machen. Es sollte einer der Höhepunkte seiner Karriere sein, stattdesse­n ist es der Schlusspun­kt geworden: William Hague, 53 Jahre alt, einer der profiliert­esten Politiker der Regierung Cameron, ist vom Außenamt zurückgetr­eten. Der Premiermin­ister braucht seinen fähigsten Diplomaten imWahlkamp­f, um den Tories 2015 den Wiedereinz­ug in Downing Street Nr. 10 zu sichern.

Von allen Umbesetzun­gen beim größten Stühlerück­en in Camerons Regierungs­zeit kam dies als die größte Überraschu­ng: Hague hatte in den vergangene­n Tagen noch in Wien über das iranische Atomprogra­mm verhandelt. Am Dienstag hat er sein Büro imAußenamt, dem Foreign and Commonweal­th Office, für seinen Kabinettsk­ollegen, den bisherigen Verteidigu­ngsministe­r Philip Hammond, geräumt. Bevor sich Hague im nächsten Jahr komplett aus der britischen Politik zurückzieh­t, soll er noch übergangsw­eise die Rolle als Vorsitzend­er des Unterhause­s in Westminste­r übernehmen.

Cameron verliert damit einen „erstklassi­gen Außenminis­ter“, wie er sagt, einen Diplomaten, der sich unter anderem energisch für die Opposition im Syrien-Konflikt einsetzte. Er behält in dem früheren Tory-Vorsitzend­en aus Yorkshire aber einen „engen Vertrauten, weisen Ratgeber und großen Freund“. Diesen Bruder im Geiste will er in den kommenden Monaten an der Basis sehen, besonders in den nörd- lichen Regionen Englands, in denen die konservati­ve Partei stetig an Einfluss, Vertrauen und Stimmen verliert. De facto, sagt Cameron, werdeHague als sein „Stellvertr­eter imWahlkamp­f“fungieren.

VonHague erhofft sich Cameron, dass er enttäuscht­e Tory-Wähler zurückgewi­nnt. Aus demselben Grund stellt auch Bildungsmi­nister Michael Gove, dessen Adoptivvat­er im Fischgesch­äft tätig war, seinen Posten zur Verfügung. Er wird „Chief Whip“, also Fraktionsg­eschäftsfü­hrer.

Denn die gesamte massive Kabinettsu­mbildung Camerons hat nur ein Ziel: Die Regierung jünger, weiblicher, traditione­ll-konservati­ver und damit für die Stammwähle­rschaft attraktive­r erscheinen zu lassen. Nach dem Triumph der Rechts- Barbara Klimke berichtet für die SN aus London populisten von UKIP bei den Europawahl­en auf der Insel ist der Premiermin­ister nun bemüht, das Profil seiner Tory-Partei zu schärfen. Die Zeitung „Times“sprach am Dienstag von einem „ministerie­llen Blutbad“, tatsächlic­h handelt es sich aber eher umeinen politische­n Aderlass.

Gehen mussten blasse Männer im fortgeschr­ittenen Alter – und zwar gleich knapp ein Dutzend: darunter Wissenscha­ftsministe­r DavidWille­tts, Umweltmini­ster Owen Paterson und Justizmini­ster Dominic Grieve.

Befördert wurden diverse Frauen, um, längst überfällig, ein kabinettsi­nternes Missverhäl­tnis auszugleic­hen. Liz Truss wurde zur Umweltmini­sterin, Nicky Morgan zur Bildungsmi­nisterin berufen. Auch das House of Lords wird künftig von einer Frau geleitet.

Philip Hammond, 58 Jahre alt, ist bestens geeignet ist für das Amt des britischen Chefdiplom­aten. Er gehört zu jenen loyalen Politikern, die bis ins Kabinett aufsteigen, weil sie jede Aufgabe mit Effizienz erledigen. Weder als Verteidigu­ngsministe­r noch zuvor als Verantwort­licher für Verkehr hat dieser Mann der britischen Regenbogen­presse je einen Anlass zu einer bunten Schlagzeil­e gegeben.

Ein Mal nur löste Hammond auf der Insel hitzige Debatten mit einer Bemerkung aus. Er befürworte einen Austritt aus der EU, sofern sich das Verhältnis zwischen dem Königreich und Brüssel nicht ändere, gab er voriges Jahr bekannt. „Ich glaube, dass wir eine Lösung aushandeln müssen, die für Großbritan­nien besser funktionie­rt, damit wir Mitglied bleiben“, erklärte er.

Prompt verpassten ihm die Medien auf dem Kontinent zum Amtsantrit­t im Außenminis­terium das Warnetiket­t „britischer Erz-Euroskepti­ker“. Damit wird sein Auftrag wohl nicht leichter, als oberster Verhandlun­gschef für Großbritan­nien Kompetenze­n aus Europa zurückzuge­winnen, so wie es Premier Cameron seinen Landsleute­n vor einer Volksabsti­mmung über die EU-Mitgliedsc­haft versproche­n hat.

Hammonds Vorgänger Hague hatte hingegen die EU-Mitgliedsc­haft Großbritan­niens aus Vernunftsg­ründen zunehmend positiv gesehen. Auch Kenneth Clarke, der letzte wortgewalt­ige EU-Freund unter den Tories, hat seinen Rückzug angekündig­t. Der 74-Jährige, der in jeder ToryRegier­ung seit 1972 gewesen ist, war zuletzt Minister ohne Portfolio und genoss überpartei­lich Ansehen.

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