Wieso wir Facebook ausgeliefert sind
Ein Shitstorm kann jeden von uns mit voller Wucht treffen. Dem digitalen Pranger entgeht nur, wer richtig reagiert.
„Deine Bank ist pleite. Heb schnell dein Geld ab.“Eine Falschmeldung, verbreitet über E-Mail, SMS und SocialMedia, genügte, um in Bulgarien eine Bankenkrise auszulösen. Aber auch Privatpersonen können jederzeit von einem Shitstorm überwältigt werden – egal ob dieser gerechtfertigt ist oder nicht. Hanne Detel, die Co-Autorin des Buchs „Der entfesselte Skandal“, beschreibt, welche Rolle dabei Barbra Streisand spielt und wie man sich gegen den Sturm wehren kann.
SN: Frau Detel, wie entsteht ein Shitstorm überhaupt?
Detel: Es braucht einen Erstimpuls, der meist von nur wenigen Personen ausgeht. Jedermann hat dank Smartphone und Web die Möglichkeit, jedermann zu kritisieren. Doch ein richtiger Sturm entsteht erst, sobald die Kritik aufgegriffen wird.
SN: Und das passiert wann? SN: Aber hinterfragen die Nutzer nicht, was sie da teilen? SN: Eine Nachricht und ein privates Posting werden aber schon unterschieden, oder?
Das hängt davon ab, wo die Anfeindung platziert wurde und wie viele Menschen darüber empört sind. Facebook ist dafür die perfekte Plattform: Nutzer können mit einem Klick jedes Posting teilen. Und wenn dann genügend aufspringen, wird der Shitstorm hochgewirbelt. Die Erfahrung zeigt, dass viele tatsächlich die Quelle nicht prüfen. Sie sind oft nicht wirklich kritisch. Zudem fehlt ihnen das Handwerkszeug, das etwa Journalisten haben, um denWahrheitsgehalt zu prüfen. Es ist nach wie vor so, dass klassische Medien als solche erkannt werden. Deshalb ist es Journalisten möglich, eine Falschmeldung zu stoppen. Dafür müssen sie aber schnell reagieren. Dann wird das Gerücht weiter verbreitet, aber die Kommentare wie „Das ist eine Ente. Schau mal auf XY“werden mehr.
SN: Aber Journalisten können ebenso dasGegenteil bewirken.
Richtig. Medien wollen gern von einem Sturm profitieren. Sie greifen ein Gerücht auf und drehen es weiter, ohne es selbst zu hinterfragen.
SN: In Bulgarien wurde durch ein Rundmail eine Bankenkrise ausgelöst. Könnte so etwas auch bei uns passieren?
Zweifelsohne. Das Ganze hat sich wohl deshalb so schnell verbreitet, weil sich die Bulgaren gefährdet gefühlt haben. Man wollte sich und seine Freunde davor bewahren, sein Erspartes zu verlieren.
Aber chronische Skeptiker wie wir Österreicher hätten doch nicht so schnell daran geglaubt, oder?
SN: Skepsis ist schon einm eine gute Voraussetzung. Es gibt ja sogar kritische Geister, die rein gar nichts mehr glauben. Aber es ist halt einfacher, „vorsichtshalber“etwas zu teilen, als es zu hinterfragen.
SN: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie schnell auch eine Privatperson ein Shitstorm treffen kann . . .
Wir kennen etwa das Beispiel eines privaten E-Mail-Austauschs zwischen Büroangestellten. Ein „Kollege“hat das Ganze weiterverteilt. Das war 2006 – und die E-Mails kann man heute noch finden.
SN: Wie soll man sich verhalten, wenn ein Sturm aufzieht?
Man sollte schnell reagieren – also derNetzgeschwindigkeit angepasst. Dabei ist wichtig, dass man sachlich bleibt und den Kern der Kritik aufgreift. Elementar ist zudem, die Wahrheit nicht scheibchenweise zuzugeben. Wer auf die Salamitaktik setzt, der wird richtig kritisiert. So wird gern der Umgang mit dem Skandal zum eigentlichen Skandal.
Ist es ratsam, jenes Posting zu löschen, das den Sturm angestoßen hat?
SN: Zensur hat meistens einen negativen Effekt. In der Kommunikationswissenschaft sprechen wir vom Streisand-Effekt. Ein Fotograf hat vor Jahren Bilder von amerikanischen Küstenabschnitten gemacht – und auf einem war Frau Streisands Haus zu sehen. Dass sie das Foto mit Nachdruck löschen lassen wollte, hat erst recht dazu geführt, dass das Bild im Netz tausendfach verbreitet wurde.
Da hilft es wohl, dass man bei Google nun alte Einträge löschen lassen kann . . .
SN: Das hilft mit Sicherheit. Aber: Nur weil Google, unser „Sehschlitz zur Welt“, das Gerücht nicht mehr listet, heißt das nicht, dass man es nirgendwo anders finden kann, etwa in einschlägigen Blogs oder Foren.
SN: Heißt das, wir sind der Digitalwelt ausgeliefert?
Bis zu einem gewissen Grad schon. Wir stehen schnell am digitalen Pranger. Das kann man mit einem Marktplatz vergleichen, auf dem man mit Schmutz beworfen wird. Der Unterschied ist nur, dass wir den Platz irgendwann verlassen können, die Digitalwelt aber kaum.
Das Ende der eigenen Kontrolle
Hanne Detel ist Akademische Mitarbeiterin am Institut fürMedienwissenschaft der Universität Tübingen. Zu den Schwerpunkten der 30-Jährigen gehören etwa das Social Web im Allgemeinen, aber auch Cybermobbing imSpeziellen.
Gemeinsam mit Bernhard Pörksen hat sie das Buch „Der entfesselte Skandal“geschrieben, das sich dem Kontrollverlust im Netz widmet. Das 245 Seiten starke Werk ist im Harlem-Verlag erschienen.