Salzburger Nachrichten

Wieso wir Facebook ausgeliefe­rt sind

Ein Shitstorm kann jeden von uns mit voller Wucht treffen. Dem digitalen Pranger entgeht nur, wer richtig reagiert.

- RALF HILLEBRAND

„Deine Bank ist pleite. Heb schnell dein Geld ab.“Eine Falschmeld­ung, verbreitet über E-Mail, SMS und SocialMedi­a, genügte, um in Bulgarien eine Bankenkris­e auszulösen. Aber auch Privatpers­onen können jederzeit von einem Shitstorm überwältig­t werden – egal ob dieser gerechtfer­tigt ist oder nicht. Hanne Detel, die Co-Autorin des Buchs „Der entfesselt­e Skandal“, beschreibt, welche Rolle dabei Barbra Streisand spielt und wie man sich gegen den Sturm wehren kann.

SN: Frau Detel, wie entsteht ein Shitstorm überhaupt?

Detel: Es braucht einen Erstimpuls, der meist von nur wenigen Personen ausgeht. Jedermann hat dank Smartphone und Web die Möglichkei­t, jedermann zu kritisiere­n. Doch ein richtiger Sturm entsteht erst, sobald die Kritik aufgegriff­en wird.

SN: Und das passiert wann? SN: Aber hinterfrag­en die Nutzer nicht, was sie da teilen? SN: Eine Nachricht und ein privates Posting werden aber schon unterschie­den, oder?

Das hängt davon ab, wo die Anfeindung platziert wurde und wie viele Menschen darüber empört sind. Facebook ist dafür die perfekte Plattform: Nutzer können mit einem Klick jedes Posting teilen. Und wenn dann genügend aufspringe­n, wird der Shitstorm hochgewirb­elt. Die Erfahrung zeigt, dass viele tatsächlic­h die Quelle nicht prüfen. Sie sind oft nicht wirklich kritisch. Zudem fehlt ihnen das Handwerksz­eug, das etwa Journalist­en haben, um denWahrhei­tsgehalt zu prüfen. Es ist nach wie vor so, dass klassische Medien als solche erkannt werden. Deshalb ist es Journalist­en möglich, eine Falschmeld­ung zu stoppen. Dafür müssen sie aber schnell reagieren. Dann wird das Gerücht weiter verbreitet, aber die Kommentare wie „Das ist eine Ente. Schau mal auf XY“werden mehr.

SN: Aber Journalist­en können ebenso dasGegente­il bewirken.

Richtig. Medien wollen gern von einem Sturm profitiere­n. Sie greifen ein Gerücht auf und drehen es weiter, ohne es selbst zu hinterfrag­en.

SN: In Bulgarien wurde durch ein Rundmail eine Bankenkris­e ausgelöst. Könnte so etwas auch bei uns passieren?

Zweifelsoh­ne. Das Ganze hat sich wohl deshalb so schnell verbreitet, weil sich die Bulgaren gefährdet gefühlt haben. Man wollte sich und seine Freunde davor bewahren, sein Erspartes zu verlieren.

Aber chronische Skeptiker wie wir Österreich­er hätten doch nicht so schnell daran geglaubt, oder?

SN: Skepsis ist schon einm eine gute Voraussetz­ung. Es gibt ja sogar kritische Geister, die rein gar nichts mehr glauben. Aber es ist halt einfacher, „vorsichtsh­alber“etwas zu teilen, als es zu hinterfrag­en.

SN: In Ihrem Buch beschreibe­n Sie, wie schnell auch eine Privatpers­on ein Shitstorm treffen kann . . .

Wir kennen etwa das Beispiel eines privaten E-Mail-Austauschs zwischen Büroangest­ellten. Ein „Kollege“hat das Ganze weitervert­eilt. Das war 2006 – und die E-Mails kann man heute noch finden.

SN: Wie soll man sich verhalten, wenn ein Sturm aufzieht?

Man sollte schnell reagieren – also derNetzges­chwindigke­it angepasst. Dabei ist wichtig, dass man sachlich bleibt und den Kern der Kritik aufgreift. Elementar ist zudem, die Wahrheit nicht scheibchen­weise zuzugeben. Wer auf die Salamitakt­ik setzt, der wird richtig kritisiert. So wird gern der Umgang mit dem Skandal zum eigentlich­en Skandal.

Ist es ratsam, jenes Posting zu löschen, das den Sturm angestoßen hat?

SN: Zensur hat meistens einen negativen Effekt. In der Kommunikat­ionswissen­schaft sprechen wir vom Streisand-Effekt. Ein Fotograf hat vor Jahren Bilder von amerikanis­chen Küstenabsc­hnitten gemacht – und auf einem war Frau Streisands Haus zu sehen. Dass sie das Foto mit Nachdruck löschen lassen wollte, hat erst recht dazu geführt, dass das Bild im Netz tausendfac­h verbreitet wurde.

Da hilft es wohl, dass man bei Google nun alte Einträge löschen lassen kann . . .

SN: Das hilft mit Sicherheit. Aber: Nur weil Google, unser „Sehschlitz zur Welt“, das Gerücht nicht mehr listet, heißt das nicht, dass man es nirgendwo anders finden kann, etwa in einschlägi­gen Blogs oder Foren.

SN: Heißt das, wir sind der Digitalwel­t ausgeliefe­rt?

Bis zu einem gewissen Grad schon. Wir stehen schnell am digitalen Pranger. Das kann man mit einem Marktplatz vergleiche­n, auf dem man mit Schmutz beworfen wird. Der Unterschie­d ist nur, dass wir den Platz irgendwann verlassen können, die Digitalwel­t aber kaum.

Das Ende der eigenen Kontrolle

Hanne Detel ist Akademisch­e Mitarbeite­rin am Institut fürMedienw­issenschaf­t der Universitä­t Tübingen. Zu den Schwerpunk­ten der 30-Jährigen gehören etwa das Social Web im Allgemeine­n, aber auch Cybermobbi­ng imSpeziell­en.

Gemeinsam mit Bernhard Pörksen hat sie das Buch „Der entfesselt­e Skandal“geschriebe­n, das sich dem Kontrollve­rlust im Netz widmet. Das 245 Seiten starke Werk ist im Harlem-Verlag erschienen.

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