Der freie Handel hat viele Gegner
Die Verhandlungen für ein europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen gehen in die nächste Runde. Auch der Widerstand formiert sich jetzt europaweit.
BRÜSSEL, WIEN. Vor einem Jahr haben die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) begonnen. Ein Ende ist noch lang nicht in Sicht. AmMontag startete in Brüssel die sechste Verhandlungsrunde. Diskutiert wird immer noch über Grundlegendes, nicht einmal bei den Zöllen ist man sich bislang einig. Vor dem Wechsel der Kommission im Herbst wolle man aber zumindest erste konkrete Textvorschläge auf dem Tisch haben, hieß es aus EU-Kreisen.
Während die alte Kommission einen ersten Teilerfolg bei den Verhandlungen anstrebt, wurde der Widerstand gegen das Abkommen am gestrigen Dienstag um eine Facette reicher: 148 Organisationen aus 18 Mitgliedsstaaten starten gemeinsam eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Die Organisatoren, darunter Umweltschutz- und Verbraucherschutzgruppen, Globalisierungsgegner und Gewerkschaften, verlangen die Einstellung der Verhandlungen.
Unter den beteiligten Organisationen ist auch die deutsche Plattform „Mehr Demokratie“. Handelsabkommen seien normalerweise gar nicht ihr Thema, sagte deren Sprecher Michael Efler am Dienstag in Brüssel. „Aber diese beiden Abkommen sind eine Gefährdung der Demokratie“, ist er überzeugt.
Zum einen verwies er auf die intransparent geführten Verhandlungen. Weder das Mandat der Kommission sei veröffentlicht worden, noch seien Inhalte der Verhandlungen für Öffentlichkeit oder Parla-
Freihandelsabkommen mente nachvollziehbar. Ein substanzielles Problem seien aber vor allem die geplanten Regelungen zum Investitionsschutz. Denn der Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen privaten Investoren und Staaten – kurz ISDS, Investor-State Dispute Settlement – sieht private Schiedsgerichte als letzte Instanz vor. Bei solchen Schiedsgerichten könnten Unternehmen Staaten verklagen, sobald nationale Gesetzgebung – etwa durch Umwelt- oder Gesundheits- auflagen – zu Gewinneinbußen führt. Ursprünglich sollte dieses Instrument Unternehmen in Staaten ohne funktionierendes Justizsystem vor Enteignungen und Behördenwillkür zu schützen.
Immer öfter übenmultinationale Konzerne aber über solche Schiedsgerichte mit millionenschweren Schadenersatzforderungen Druck auf Staaten aus. Überdies seien solche Schiedsgerichte teuer, intransparent und undemokratisch, weil sie sich über nationale Gesetzgebung hinwegsetzten, führen Kritiker ins Treffen. Längst sei daraus ein boomendes Geschäftsfeld für darauf spezialisierte Anwaltskanzleien entstanden. EU-Handelskommissar Karel De Gucht hatte den gesamten Investitionsschutz zuletzt aus den Verhandlungen ausgeklammert und eine öffentliche Konsultation dazu gestartet, die mit Ende derWoche ausläuft.
Von dem Prinzip der außerstaatlichen Schiedsgerichte hatte sich zuletzt sogar der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker distanziert: Rechtsstreitigkeiten könnten auch von den offiziellen Gerichten in den USA und der EU behandelt werden, schließlich seien beide Demokratien. Eine Mei- nung, die auch die Initiatoren der Bürgerinitiative teilen. Anders als Junckers Auffassung, dass das Freihandelsabkommen grundsätzlich abgeschlossen werden sollte.
Neben dem Investitionsschutz haben viele Kritiker ein grundlegendes Problem mit dem geplanten Vertragswerk: „Es ist kein traditionelles Handelsabkommen mehr“, attestiert Aktivist Efler. Weil Zölle zwischen den USA und der EU bereits sehr gering seien, würde eine neue Qualität dazukommen: eine Angleichung der Regulierungen und Standards. Kritiker fürchten die Aufweichung und Senkung europäischer Normen in den Bereichen Arbeitsrecht, Umwelt, Soziales oder Lebensmittel auf ein kostengünstigeres, niedrigeresNiveau.
Greenpeace-Sprecher Florian Schweitzer bezeichnete TTIP kürzlich als „Einfallstor für Gentechnik, Klonfleisch und Fracking“. Sinnbild dafür ist das berüchtigte „Chlorhuhn“. In den USA werden Hühner vor dem Verkauf durch ein Chlorbad desinfiziert. Das ist in Europa verboten. Die Industrie freilich bestreitet eine geplante Aufweichung oder Absenkung solcher Standards und warnt indes vor „unbegründeter Panikmache“.