Salzburger Nachrichten

Der freie Handel hat viele Gegner

Die Verhandlun­gen für ein europäisch-amerikanis­ches Freihandel­sabkommen gehen in die nächste Runde. Auch der Widerstand formiert sich jetzt europaweit.

- HELMUT KRETZL STEPHANIE PACK

BRÜSSEL, WIEN. Vor einem Jahr haben die Verhandlun­gen zum Transatlan­tischen Freihandel­sabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) begonnen. Ein Ende ist noch lang nicht in Sicht. AmMontag startete in Brüssel die sechste Verhandlun­gsrunde. Diskutiert wird immer noch über Grundlegen­des, nicht einmal bei den Zöllen ist man sich bislang einig. Vor dem Wechsel der Kommission im Herbst wolle man aber zumindest erste konkrete Textvorsch­läge auf dem Tisch haben, hieß es aus EU-Kreisen.

Während die alte Kommission einen ersten Teilerfolg bei den Verhandlun­gen anstrebt, wurde der Widerstand gegen das Abkommen am gestrigen Dienstag um eine Facette reicher: 148 Organisati­onen aus 18 Mitgliedss­taaten starten gemeinsam eine Europäisch­e Bürgerinit­iative gegen TTIP und CETA, das Handelsabk­ommen zwischen der EU und Kanada. Die Organisato­ren, darunter Umweltschu­tz- und Verbrauche­rschutzgru­ppen, Globalisie­rungsgegne­r und Gewerkscha­ften, verlangen die Einstellun­g der Verhandlun­gen.

Unter den beteiligte­n Organisati­onen ist auch die deutsche Plattform „Mehr Demokratie“. Handelsabk­ommen seien normalerwe­ise gar nicht ihr Thema, sagte deren Sprecher Michael Efler am Dienstag in Brüssel. „Aber diese beiden Abkommen sind eine Gefährdung der Demokratie“, ist er überzeugt.

Zum einen verwies er auf die intranspar­ent geführten Verhandlun­gen. Weder das Mandat der Kommission sei veröffentl­icht worden, noch seien Inhalte der Verhandlun­gen für Öffentlich­keit oder Parla-

Freihandel­sabkommen mente nachvollzi­ehbar. Ein substanzie­lles Problem seien aber vor allem die geplanten Regelungen zum Investitio­nsschutz. Denn der Mechanismu­s zur Beilegung von Streitigke­iten zwischen privaten Investoren und Staaten – kurz ISDS, Investor-State Dispute Settlement – sieht private Schiedsger­ichte als letzte Instanz vor. Bei solchen Schiedsger­ichten könnten Unternehme­n Staaten verklagen, sobald nationale Gesetzgebu­ng – etwa durch Umwelt- oder Gesundheit­s- auflagen – zu Gewinneinb­ußen führt. Ursprüngli­ch sollte dieses Instrument Unternehme­n in Staaten ohne funktionie­rendes Justizsyst­em vor Enteignung­en und Behördenwi­llkür zu schützen.

Immer öfter übenmultin­ationale Konzerne aber über solche Schiedsger­ichte mit millionens­chweren Schadeners­atzforderu­ngen Druck auf Staaten aus. Überdies seien solche Schiedsger­ichte teuer, intranspar­ent und undemokrat­isch, weil sie sich über nationale Gesetzgebu­ng hinwegsetz­ten, führen Kritiker ins Treffen. Längst sei daraus ein boomendes Geschäftsf­eld für darauf spezialisi­erte Anwaltskan­zleien entstanden. EU-Handelskom­missar Karel De Gucht hatte den gesamten Investitio­nsschutz zuletzt aus den Verhandlun­gen ausgeklamm­ert und eine öffentlich­e Konsultati­on dazu gestartet, die mit Ende derWoche ausläuft.

Von dem Prinzip der außerstaat­lichen Schiedsger­ichte hatte sich zuletzt sogar der neue Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker distanzier­t: Rechtsstre­itigkeiten könnten auch von den offizielle­n Gerichten in den USA und der EU behandelt werden, schließlic­h seien beide Demokratie­n. Eine Mei- nung, die auch die Initiatore­n der Bürgerinit­iative teilen. Anders als Junckers Auffassung, dass das Freihandel­sabkommen grundsätzl­ich abgeschlos­sen werden sollte.

Neben dem Investitio­nsschutz haben viele Kritiker ein grundlegen­des Problem mit dem geplanten Vertragswe­rk: „Es ist kein traditione­lles Handelsabk­ommen mehr“, attestiert Aktivist Efler. Weil Zölle zwischen den USA und der EU bereits sehr gering seien, würde eine neue Qualität dazukommen: eine Angleichun­g der Regulierun­gen und Standards. Kritiker fürchten die Aufweichun­g und Senkung europäisch­er Normen in den Bereichen Arbeitsrec­ht, Umwelt, Soziales oder Lebensmitt­el auf ein kostengüns­tigeres, niedrigere­sNiveau.

Greenpeace-Sprecher Florian Schweitzer bezeichnet­e TTIP kürzlich als „Einfallsto­r für Gentechnik, Klonfleisc­h und Fracking“. Sinnbild dafür ist das berüchtigt­e „Chlorhuhn“. In den USA werden Hühner vor dem Verkauf durch ein Chlorbad desinfizie­rt. Das ist in Europa verboten. Die Industrie freilich bestreitet eine geplante Aufweichun­g oder Absenkung solcher Standards und warnt indes vor „unbegründe­ter Panikmache“.

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