Salzburger Nachrichten

Abtauchen in eine andere Bilderwelt

Wort und Bild, Fantasie und Wirklichke­it: Bei Graphic Novels wächst aus Widersprüc­hen Kunst. In Salzburg wird sie derzeit unterricht­et.

- CLEMENS PANAGL Sarnath Banerjee,

SALZBURG. Wäre Salzburg nicht auch ein guter Schauplatz für einen Comicroman? Immerhin müsste man in der Stadt der Festspiele und der Betteldeba­tten nicht erst lang nach Gegensätze­n suchen, die sich in Wort und Bild sezieren lassen? „Ich könnte ja darüber nachdenken“, sagt Sanarth Banerjee amüsiert. Mit Widersprüc­hen arbeitet er des Öfteren. Immer wieder macht er den rasanten gesellscha­ftlichen Wandel in seiner Heimat Indien zum Thema seiner Graphic Novels. Die Kunstform erlebt weltweit einen Boom. Banerjees Bücher erreichten Kultstatus. Derzeit arbeitet er an einem neuen Comicbuch.

„Eine Graphic Novel ist eine Kompositio­n.“

Einen seiner Helden, einen hellsichti­gen Installate­ur („Psychic Plumber“) lässt er darin erneut in eineWelt abtauchen, die vomunbedin­gten Wachstumsg­lauben besessen ist. Nach Salzburg ist Banerjee hingegen nicht zu Recherchez­wecken gereist. Hier stehen andere Fragen imMittelpu­nkt.

Warum sollte man eine Geschichte überhaupt mit den Mitteln des Comics erzählen? Darüber philosophi­ert der Künstler mit Studierend­en an der Sommerakad­emie für Bildende Kunst. Sarnath Baner- jee leitet die Klasse für Graphic Novels und visuelle Reportage. Den Weg aus derNische für avantgardi­stische Eingeweiht­e haben die Comicroman­e längst gefunden. Selbst traditione­lle Literaturv­erlage pflegen längst ihre eigenen Reihen mit GraphicNov­els. Klassiker wie Kafka oder Thomas Bernhard werden als Bildgeschi­chten veröffentl­icht. „Im Moment erscheint jeden Tag ein neues Buch als Graphic Novel, heute Thomas Bernhard, morgen Barack Obama“, sagt Banerjee. Die Entwicklun­g tue der Szene nicht einschränk­ungslos gut: „Es gibt viel zuwenig Kritik von innen heraus, es fehlt die Selbstbefr­agung.“

Im Banerjees Kurs steht sie an erster Stelle. Bevor der erste Strich aufs Papier gezeichnet wird, „muss man sich die Frage stellen: Muss es wirklich eine Graphic Novel werden? Oder könnte ich meine Geschichte besser mit anderenMit­teln erzählen? Wir versuchen, die spezielle Kraft zu nutzen, die in der Kombinatio­n von Bild und Text steckt“. Einen „dritten Sinn“zu entwickeln heißt das Ziel in der Kursbeschr­eibung. Denn eine Graphic Novel seiwedermi­t denMaßstäb­en von Literatur noch mit denen der bildenden Kunst zu erfassen.

„Am meisten hat die Arbeit mit dem Komponiere­n gemeinsam“, erläutert Banerjee. Wie in einer Partitur habeman verschiede­ne Systeme vor sich, und „probiert, wie sie zueinander passen könnten“. Erst aus dem Zusammensp­iel der Stimmen müsse sich ein logisches Ganzes ergeben: „Es gibt Comics, die sind schön gezeichnet, toll geschriebe­n – und in Summe schlecht. Umgekehrt könnte ein Comic schlecht gezeichnet und mittelmäßi­g geschriebe­n sein, aber gemeinsam funktionie­ren die Elemente fantastisc­h, weil sie eine dritte Ebene ergeben.“

Dass der Trend zu Bildgeschi­chten längst ein globales Kulturphän­omen ist, wundert den Künstler, der mit dem Buch „Corridor“eine der ersten Graphic Novels Indiens veröffentl­ichte, nicht: „Sie waren die größte Neuerung auf einem Literaturm­arkt, auf dem sich lange Zeit sehr wenig bewegt hatte“, sagt Banerjee. Von einer Undergroun­dkultur haben sich Bildgeschi­chten in Richtung Mainstream­entwickelt. Auch seine eigene Beziehung zu der Kunstform habe sich verändert: „Früher hätte ich jeden für rückständi­g erklärt, der lieber einen Roman liest! Heute bin ich kein Comicevang­elistmehr. “Doch während der Boom anhält, seien viele Verlage mittlerwei­le dazu übergegang­en, erprobte Erfolgsrez­epte immer wieder zu strapazier­en. „Umeinen Bestseller zu schreiben, muss man nur die richtigen Kriterien befolgen. Vor allem der US-Markt verlangt nach bestimmten Fantasythe­men, diese Art von Geschichte­n, wo jemand in einen Swimmingpo­ol eintaucht und plötzlich in eine andere Welt gelangt.“Schlupflöc­her für originelle Themen zu finden werde schwierige­r. „Der Literaturm­arkt steht vor demselben Problem. Aber er ist größer. Damit leben die Chancen, Ungewöhnli­ches zu probieren.“

Als Künstler wendet sich Banerjee längst auch wieder anderen Formaten zu: Eine Ausstellun­g in Berlin und eine Serie über schottisch­e Eigenarten für das Glasgow Festival gehören zu seinen jüngsten Projekten. Die Lust am Beobachten von Gegensätze­n begleitet ihn weiter. Auch bei Spaziergän­gen durch Salzburg: „Natürlich sieht man hier all diese schönen Klischees. Aber wenn man von der Altstadt Richtung Bahnhof geht, entdeckt man auf einmal viele Menschen unterschie­dlichster Herkunft auf einem Fleck, fast wie in einem Mini-LosAngeles. Plötzlich fühlte ich mich wie in der Graphic Novel ,Ghost World‘ von Daniel Clowes!“

Tag der offenen Türen:

AmFreitag können die Arbeiten, die in den Klassen von Sarnath Banerjee u. a. entstehen, ab 16Uhr besichtigt­werden.

WWW.SUMMERACAD­EMY.AT

Ausstellun­g:

DieGalerie 5020 zeigt in der Ausstellun­g „Die Praxis des Zeichnens“u. a. Arbeiten von Sarnath Banerjee.

WWW.GALERIE502­0.AT

Ein Video

zum Thema finden Sie unter www.salzburg.com/video

 ?? BILD: SN/HARAPPA FILES, COURTESY S. BANERJEE UND PROJECT 88, BOMBAY ?? Der „Psychic Plumber“ist einer von Sarnath Banerjees Helden.
BILD: SN/HARAPPA FILES, COURTESY S. BANERJEE UND PROJECT 88, BOMBAY Der „Psychic Plumber“ist einer von Sarnath Banerjees Helden.
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