Rainer-Marsch: Kritik an altem Kriegsgesang
Bei Festen und in Bierzelten wird beim Rainer-Marsch noch immer der Kriegstext aus 1915 gesungen. Eine umstrittene Praxis.
Eine typische Bierzeltszene in Salzburg: Die Musikkapelle spielt den RainerMarsch. Das Publikum steigt auf die Bierbänke und singt:„Wir siegen oder sterben, für unser Heimatland, die Feinde wir verderben, hoch Salzburg, unser Land!“Manche halten sich die rechte Hand auf die Brust. Mitunter singen auch die Musiker auf der Bühne mit.
Genau hundert Jahre, nachdem das Rainer-Regiment imAugust 1914 in den Krieg zog, wird die erste Strophe des Rainer-Mar-
„ Mein Onkel sagte: ,Der Text ist nicht mehr zeitgemäß.‘“
sches nach wie vor so gesungen, als stünde ein neuer Krieg bevor.
Das Absingen des historischen, kriegsverherrlichenden Textes stößt im Gedenkjahr 2014 allerdings zunehmend auf Kritik. „Die Musikkapellen und Bands heute sollten ein bisschen überlegen, was sie da eigentlich singen“, sagt Musikwissenschafter Wolfgang Dreier vom Salzburger Volksliedwerk. Der RainerMarsch diene heute nicht nur als Bierzelt-, sondern auch als AprèsSki-Hymne. „Das ist erschreckend. Da steigen die Leute auf die Tische, halten die Hand auf die Brust und grölen mit. Das kann es ja nicht sein in der heutigen Zeit. Man will ja hoffentlich kein Feinde mehr verderben.“Der Text des Marsches möge historisch interessant sein, passe aber nicht mehr in das Jahr 2014, sagt Dreier.
Ähnlich argumentiert man beim Salzburger Blasmusikverband. Obmann Matthäus Rieger geht klar auf Distanz. Das Aufstehen während des Marsches und das Singen des Kriegstextes gefielen ihm „überhaupt nicht“, sagt Rieger. „Ich singe da prinzipiell nicht mit und stehe auch nicht auf. Das ist nicht tragbar – das sage ich als Verbandsobmann und als Kapellmeister.“
Deshalb legt Rieger als Dirigent der Trachtenmusikkapelle Scheffau den Rainer-Marsch in Bierzelten nicht mehr auf – um das Absingen des Textes durch das Publikum zu vermeiden. „Es gibt ja genug andere Traditionsmärsche, die gut ankommen.“
Der historische Text stammt von Josef Schopper, einem Kameraden des Komponisten Hans Schmid (1893 bis 1987) im Infanterieregiment „Erzherzog Rainer“Nr. 59. Schmid hatte dieMusik im Herbst 1915 in Galizien in der heutigen Ukraine geschrieben – in einer von einem Granattreffer beschädigten orthodoxen Kapelle. „Ich zwängte mich zu dieser Arbeit in einen engen Kirchenstuhl“, schrieb Schmid rückblickend. „Draußen regnete es in Strömen. Ich schrieb nun die Stimmen für die einzelnen Instrumente mit Bleistift auf Notenpapier – zwei Dinge, die ich während des ganzen Krieges immer bei mir trug. Nach getaner Arbeit kehrte ich bei hereinbrechender Dunkelheit wieder in mein Quartier zurück – eine selbst gebaute Erdhöhle, die ich mit zwei Kameraden teilte. Mit tausend Gedanken, ob der Marschwohl Anklang finden würde, schlief ich ein.“
Musik und Text fanden sofort Anklang. Und noch heute gilt der Rainer-Marsch in Salzburg als eine Art inoffizielle Landeshymne. Dieser alte Text sei „aus der Zeit heraus anzuerkennen“, sagt dazu Markus Lechner vom Rainerbund Salzburg, der das RainerRegimentsmuseum auf der Festung betreut. Der Rainerbund und die Rainermusik Salzburg würden aber nicht in Bierzelten auftreten, wo der Kriegstext von den Biertischen aus gesungen werde, betont Lechner.
Bezeichnend ist, dass Komponist Hans Schmid in späteren Jahren wiederholt den „dringenden Wunsch“äußerte, den mitten in denWirren des ErstenWeltkriegs verfassten Text nicht mehr zu singen. Das betont SchmidsNeffe Karl Achleitner im SN-Gespräch. SeinOnkel sei, nachdemer in den 1950er-Jahren in die USA emigriertwar, immer wieder im Sommer bei ihm auf Besuch gewesen, sagt Achleitner. „Er sagte zu mir: ,Karl, jetzt haben wir schon so lange Frieden und wir singen noch immer vom Siegen oder
Erster Weltkrieg Sterben. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Da gehört längst ein anderer Text geschrieben, der die Liebe zu Salzburg dokumentiert.‘“
Karl Achleitner, heute Ehrenkapellmeister der Trachtenmusikkapelle Neukirchen bei Lambach, dichtete daraufhin eine neue Textversion – das „Salzburger Heimatlied“(siehe Kasten rechts unten). „Ich wollte dem Wunsch vomOnkel entsprechen. Wir haben den neuen Text an alle