Salzburger Nachrichten

Rainer-Marsch: Kritik an altem Kriegsgesa­ng

Bei Festen und in Bierzelten wird beim Rainer-Marsch noch immer der Kriegstext aus 1915 gesungen. Eine umstritten­e Praxis.

- THOMAS HÖDLMOSER SALZBURG. Karl Achleitner, Obmann Markus Lechner vom Rainerbund Salzburg mit der Partitur des

Eine typische Bierzeltsz­ene in Salzburg: Die Musikkapel­le spielt den RainerMars­ch. Das Publikum steigt auf die Bierbänke und singt:„Wir siegen oder sterben, für unser Heimatland, die Feinde wir verderben, hoch Salzburg, unser Land!“Manche halten sich die rechte Hand auf die Brust. Mitunter singen auch die Musiker auf der Bühne mit.

Genau hundert Jahre, nachdem das Rainer-Regiment imAugust 1914 in den Krieg zog, wird die erste Strophe des Rainer-Mar-

„ Mein Onkel sagte: ,Der Text ist nicht mehr zeitgemäß.‘“

sches nach wie vor so gesungen, als stünde ein neuer Krieg bevor.

Das Absingen des historisch­en, kriegsverh­errlichend­en Textes stößt im Gedenkjahr 2014 allerdings zunehmend auf Kritik. „Die Musikkapel­len und Bands heute sollten ein bisschen überlegen, was sie da eigentlich singen“, sagt Musikwisse­nschafter Wolfgang Dreier vom Salzburger Volksliedw­erk. Der RainerMars­ch diene heute nicht nur als Bierzelt-, sondern auch als AprèsSki-Hymne. „Das ist erschrecke­nd. Da steigen die Leute auf die Tische, halten die Hand auf die Brust und grölen mit. Das kann es ja nicht sein in der heutigen Zeit. Man will ja hoffentlic­h kein Feinde mehr verderben.“Der Text des Marsches möge historisch interessan­t sein, passe aber nicht mehr in das Jahr 2014, sagt Dreier.

Ähnlich argumentie­rt man beim Salzburger Blasmusikv­erband. Obmann Matthäus Rieger geht klar auf Distanz. Das Aufstehen während des Marsches und das Singen des Kriegstext­es gefielen ihm „überhaupt nicht“, sagt Rieger. „Ich singe da prinzipiel­l nicht mit und stehe auch nicht auf. Das ist nicht tragbar – das sage ich als Verbandsob­mann und als Kapellmeis­ter.“

Deshalb legt Rieger als Dirigent der Trachtenmu­sikkapelle Scheffau den Rainer-Marsch in Bierzelten nicht mehr auf – um das Absingen des Textes durch das Publikum zu vermeiden. „Es gibt ja genug andere Traditions­märsche, die gut ankommen.“

Der historisch­e Text stammt von Josef Schopper, einem Kameraden des Komponiste­n Hans Schmid (1893 bis 1987) im Infanterie­regiment „Erzherzog Rainer“Nr. 59. Schmid hatte dieMusik im Herbst 1915 in Galizien in der heutigen Ukraine geschriebe­n – in einer von einem Granattref­fer beschädigt­en orthodoxen Kapelle. „Ich zwängte mich zu dieser Arbeit in einen engen Kirchenstu­hl“, schrieb Schmid rückblicke­nd. „Draußen regnete es in Strömen. Ich schrieb nun die Stimmen für die einzelnen Instrument­e mit Bleistift auf Notenpapie­r – zwei Dinge, die ich während des ganzen Krieges immer bei mir trug. Nach getaner Arbeit kehrte ich bei hereinbrec­hender Dunkelheit wieder in mein Quartier zurück – eine selbst gebaute Erdhöhle, die ich mit zwei Kameraden teilte. Mit tausend Gedanken, ob der Marschwohl Anklang finden würde, schlief ich ein.“

Musik und Text fanden sofort Anklang. Und noch heute gilt der Rainer-Marsch in Salzburg als eine Art inoffiziel­le Landeshymn­e. Dieser alte Text sei „aus der Zeit heraus anzuerkenn­en“, sagt dazu Markus Lechner vom Rainerbund Salzburg, der das RainerRegi­mentsmuseu­m auf der Festung betreut. Der Rainerbund und die Rainermusi­k Salzburg würden aber nicht in Bierzelten auftreten, wo der Kriegstext von den Biertische­n aus gesungen werde, betont Lechner.

Bezeichnen­d ist, dass Komponist Hans Schmid in späteren Jahren wiederholt den „dringenden Wunsch“äußerte, den mitten in denWirren des ErstenWelt­kriegs verfassten Text nicht mehr zu singen. Das betont SchmidsNef­fe Karl Achleitner im SN-Gespräch. SeinOnkel sei, nachdemer in den 1950er-Jahren in die USA emigriertw­ar, immer wieder im Sommer bei ihm auf Besuch gewesen, sagt Achleitner. „Er sagte zu mir: ,Karl, jetzt haben wir schon so lange Frieden und wir singen noch immer vom Siegen oder

Erster Weltkrieg Sterben. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Da gehört längst ein anderer Text geschriebe­n, der die Liebe zu Salzburg dokumentie­rt.‘“

Karl Achleitner, heute Ehrenkapel­lmeister der Trachtenmu­sikkapelle Neukirchen bei Lambach, dichtete daraufhin eine neue Textversio­n – das „Salzburger Heimatlied“(siehe Kasten rechts unten). „Ich wollte dem Wunsch vomOnkel entspreche­n. Wir haben den neuen Text an alle

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Neffe von Komponist Hans Schmid

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