Tödlicher Albtraum in den Hohen Tauern
„Herr Wirt, es war alles recht schön!“Ein Gast der St. Pöltner Hütte auf dem Felbertauern sagt es – und schießt. Vor 80 Jahren endet ein Blutbad mit zwei Toten – und einer Beute von 120 Schilling.
MITTERSILL. Nebel legt sich am 22. August 1934 umdie St. Pöltner Hütte auf der Passhöhe des Felbertauerns im Gemeindegebiet von Mittersill. Dort, an der Grenze zwischen Salzburg und Osttirol, ist deshalb von der grandiosen Bergwelt der Dreitausenderwenig zu sehen. Trotzdem herrscht im Schutzhaus schwungvolle Betriebsamkeit. Kellnerin Berta Steger werkt geräuschvoll beim Abwasch. Anna, die Wirtin, hantiert am Herd. Ihr Mann, der Wirt Friedl Steinberger, plaudert am Tisch mit Karl Fürst, dem Jugendführer der Sektion St. Pölten. Der 25-jährige Mittelschullehrer aus St. Pölten hat gerade den Suppenlöffel zur Seite gelegt und wartet auf die Hauptspeise, SalzburgerNockerl. In der angrenzenden Stube diskutieren Bergkameraden über mögliche Touren.
Da betreten zwei junge Burschen in Knickerbocker die Stube. Still setzen sich die Steirer Willibald Bendinger, 22, und Leo Egger, 16, an einen Tisch. Die arbeitslosen Männer haben Schmarrn mit Preiselbeeren gegessen, bestellen jetzt einen Liter Rotwein. Von diesem trinken sie den Großteil, scheinen den übrigen Gästen aber keineswegs betrunken. Dann beginnt auf 2481 Metern Seehöhe ein Albtraum.
Bendinger steht auf und geht in die Küche. „Herr Wirt, es war alles recht schön“, sagt er. Dann greift er in die Tasche seines Hubertusmantels, zieht eine Pistole hervor und zielt geradewegs auf den Jugendführer Fürst. Mit einem Bauchschuss streckt er ihn nieder, um gleich darauf auf den Wirt Steinberger zuzielen. Dieser will noch eingreifen. Es kommt zumHandgemenge und zuweiteren Schüssen, die den 64-Jährigen töten.
Gattin Anna flieht ins Freie. Ebenso Serviererin Berta, der ein Schuss folgt, der sie jedoch verfehlt. Auch in der Gaststube ist inzwischen das Feuer eröffnet worden. Komplize Egger schießt dort um sich. Ein Salzburger aus Maxglan will ihm einen Tisch entgegenschleudern und trägt einen Einschuss im linken Oberschenkel sowie einen Streifschuss amArm davon.
Salzburger Schicksalsorte
Während Egger das Magazin wechselt, gelingt es dem Verletzten und zwei Gästen, ins Freie zu fliehen. Sie suchen Schutz hinter einem Felsen, wo dem Salzburger mit einem länglichen Stein und einem Taschentuch ein Knebelverband angelegt wird.
Unterdessen hat das verbrecherische Duo mit einem Eispickel die versperrte Schublade in einem Schrank aufgebrochen und darin das Geld – 120 Schilling – entwendet. Dann flüchten die beiden talwärts. Zum Vergleich: Für 120 Schilling musste ein Schlossergehilfe 1934 zwei Monate lang arbeiten.
Auf dem Berg bietet sich ein Bild des Grauens. Der tote Hüttenwirt liegt ausgestreckt auf dem Küchenboden, Fürst ringt blutüberströmt um sein Leben. Telefon gibt es nicht. Deshalb läuft Berta, die 18-jährige Serviererin, in wenigen Stunden zum Matreier Tauernhaus in Osttirol. Von dort wird der Gendarmerieposten Matrei telefonisch ver- ständigt, der die Meldung an die Kollegen in Mittersillweiterleitet. Die Täter laufen daher Revierinspektor Josef Flegel geradezu in die Hände, als sie Mittersill erreichen. In ihren Rucksäcken stellt man beim Gendarmerieposten zwei Pistolen sicher, umein Haar hätte es weitere Tote geben können: Bendinger hat in der rechten Hosentasche eine dritte, scharf geladene Waffe. Schon will er danach greifen, doch Flegel ist schneller, packt seine Hand und entzieht sie ihm. Bergrettung, Arzt und Gendarmen machen sich auf den Weg zur Hütte und treffen dort in derDunkelheit ein.
Fürst stirbt am 24. August im Krankenhaus Schwarzach. Die Täter zeigen sich geständig. Bendinger habe ihn zu einer „Bergtour“eingeladen und ihm erst später eröffnet: „Wir werden das Geld holen und machen den Wirt kampfunfähig“, gibt Egger zu Protokoll. Bendinger wurde vom Standgericht Wien am 3. September 1934wegen Raubmordes zum Tod durch den Strang verurteilt. Die Vollstreckung erfolgt am selben Tag. Egger erhält als Jugendlicher wegen versuchten Raubmordes neuneinhalb Jahre schwere Kerkerhaft.
EineTafel amGlockenturm der St. PöltnerHütte gedenkt der Opfer Steinberger und Fürst. Walter Reifmüller, Kustos des Felberturmmuseums Mittersill, hat die Akte über das Schicksal dieser beiden Männer aufbewahrt. Und er erinnert sich an den Hüttenwirt, der die Gäste mit Berggeschichten zu fesseln vermochte. „Wenn der Sturm um die Hütte brauste, hielt er sie auch mit Kartenspiel bei guter Laune“, erzählt Reifmüller, ehemals Postenkommandant von Mittersill.