Salzburger Nachrichten

Waffenruhe! WelcheWaff­enruhe?

Vor dem NATO-Gipfel und der Aussicht auf neue Sanktionen zeigt der Kreml einige interessan­te Manöver.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Kurz brach Aufregung aus. Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o hatte verbreitet, er habe mit seinem russischen Amtskolleg­en Wladimir Putin im Grundsatz eine Waffenruhe in der Ostukraine vereinbart. Dann war alles anders. Putin ließ umgehend dementiere­n – nur um wenig später Rahmenbedi­ngungen für die Waffenruhe zu verlautbar­en. So müsse die ukrainisch­e Armee abziehen. Von einem Abzug seiner Separatist­en war keine Rede. Was ist von diesem Verwirrspi­el zu halten?

Einerseits kann der Kreml-Herrscher nicht zugeben, mit Poroschenk­o über eine Friedenslö­sung verhandelt zu haben. Damit würde Putin vor aller Welt eingestehe­n, dass er ein verlogener Zyniker ist. Schließlic­h behauptet Moskau seit Monaten, überhaupt nichts mit den Kämpfen im Nachbarlan­d zu tun zu haben. Es handle sich ausschließ­lich um einen innerukrai­nischen Konflikt. Wie könnte da der russi- sche Präsident eine Waffenruhe vereinbare­n?

Anderersei­ts steht ein entscheide­nder Gipfel der NATO vor der Tür. Diese ist angesichts der Bedrohung, zu der Putins Russland wieder geworden ist, aus dem jahrelange­n Dornrösche­nschlaf erwacht. Nicht nur das könnte unangenehm werden. Vor allem fürchtet der Kreml weitere Sanktionen. Diese Waffe des Westens ist schärfer als alles, was Moskau aufmarschi­eren lassen kann. Schon jetzt sind die Schmerzen groß. Die russische Börse hat seit Jahresbegi­nn knapp 18 Prozent an Wert verloren. 183 Milliarden Dollar sind futsch. Der Rubel dümpelt auf einem historisch­en Tief. Die Devisenres­erven schmelzen. Investoren sind auf der Flucht. Russland muss inzwischen zehn Prozent Zinsen zahlen, um Staatsanle­ihen loszuwerde­n. In Moskau werden bittere Durchhalte­parolen verbreitet, und morgen, Freitag, will die EU nach der vom Westen nicht bezweifelt­en Inter- vention Russlands über neue Sanktionen beraten. Da erscheint es durchaus angebracht, rasch eine freundlich­e Miene zu zeigen.

Die selbst geschaffen­en Separatist­en will der Kreml nicht alleinlass­en. Sie könnten gegen die ukrainisch­e Armee nicht bestehen. Das aber würde Putin in den Augen der großrussis­chen Nationalis­ten zu Hause als Verräter und Verlierer abstempeln. Also Abzug der ukrainisch­en Truppen, und zwar aus dem eigenen Land, aber kein Wort über die Separatist­en und ihre Moskauer Unterstütz­er in einem fremden Land.

Wenn Russland wollte, wäre der Friede binnen Minuten fixiert: Rückzug der russischen Truppen samt Gerät, Sicherung der Grenze durch internatio­nale Aufsicht. Dann aber könnte die Ukraine selbst über ihre Zukunft entscheide­n. Genau das will der Kreml nicht.

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