Salzburger Nachrichten

Staatsschu­tz sieht Gefahr von Anschlägen in Österreich

Der Dschihad ist für Österreich die größte Gefahr: Das sagt der oberste Staatsschü­tzer, Peter Gridling. Die Zahl der Dschihadis­ten aus der Alpenrepub­lik ist in den vergangene­n zwei Wochen rasant gestiegen.

- WIEN.

Fast täglich ein neuer Dschihadis­t, der vonÖsterre­ich aus in ein Kriegsgebi­et zieht oder von dort zurückkehr­t: Das zeigen die neuesten Zahlen des Staatsschu­tzes für den Zeitraum der vergangene­n zwei Wochen. Aktuell kämpfen oder kämpften somit bereits mehr als 140 Personen aus Österreich im „Heiligen Krieg“. Der Direktor des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT), Peter Gridling, warnt im SNIntervie­w vor der steigenden Gefahr von Terroransc­hlägen in Österreich. Denn der Dschihad sei aktuell die größte Gefahr für das Land. Gridling betont auch, dass die Polizei das Problem unmöglich allein lösen könne. „Wir müssen uns mehr dafür interessie­ren, wo sich etwas zusammenbr­aut.“

Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) zieht immer mehr Menschen aus Österreich in ihren Bann. Fast täglich werden Dschihadis­ten für den Krieg rekrutiert oder kehren von dort zurück. Das zeigen neue Zahlen des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT). Der Direktor des BVT, Peter Gridling, über Terror, der als „sexy“verstanden wird.

SN: Erneut wurde vom IS ein US-Reporter enthauptet. Hat der Terror eine neue Stufe erreicht?

Gridling: Der Terror hat keine neue Stufe erreicht. Der Terror zeigt sich genau so, wie er sich immer gezeigt hat. Mit dem vermehrten Engagement von Staaten und der – aus Sicht des IS – Einmischun­g in den Konflikt in Syrien oder im Irak werden die Beteiligte­n aber sichtbarer und zu konkreten Zielen. Das bedeutet, wenn etwa Deutschlan­d Waffen an die Kurden liefert, werden Deutsche durch IS-Terroriste­n überall auf derWelt zum Ziel.

SN: Wie ist die Gefährdung­slage in Österreich?

Wir leben in einem äußerst sicheren Umfeld. Aber die Gefahr ist, dass es in diesem sicheren Umfeld radikalisi­erte Leute gibt, die mit Terroriste­n sympathisi­eren. Leute, die bereit sind, in den Dschihad zu ziehen, für die der Dschihad sexy ist. Das wird der Bevölkerun­g und der Gesellscha­ft nur bewusst, wenn wir wieder einige an der Ausreise hindern. Aber es wird nicht bewusst, dass die Gefahr bei uns auch besteht. Dass wir zunehmend Gefahr laufen, dass sich dies nicht „da unten“in einer containeri­sierten Situation abspielt, sondern überall.

SN: Steigt somit die Gefahr von Anschlägen in Österreich?

Die Gefahr von Anschlägen steigt. Das sage ich ganz bewusst, denn es gibt zunehmend Postings oder Botschafte­n im Netz. Denken Sie nur an das Gastein-Video, wo einer sagt: „Ich bin hier. Sagt mir, was ich tun muss. Ich mache es. – Da.“Es gibt immer mehr Hinweise auf ein steigendes Gefährdung­spotenzial im Land. Es gibt zwar keine Hinweise auf konkrete Anschläge, aber wenn man sich die Propaganda anschaut, etwa die letzten Postings von Firas H. (ein 19-jähriger Dschihadis­t aus Wien, Anm.), dann sieht man, dass die Strategie auf eine Botschaft abzielt: „Niemand ist sicher vor uns, egal, wie sicher ihr euch wähnt in eurer Gesellscha­ft.“Die letzten Worte von Firas, „ihr wisst gar nicht, was wir alles tun bei euch“, sollen genau diese Angst schüren.

Die Frage bleibt, ob es sich dabei um reine Angstmache oder ernst zu nehmende Drohungen handelt.

SN: Ich glaube, dass es nicht unbegründe­t ist. Denn wir haben Potenzial in unseremLan­d. Wir habenRückk­ehrer da undwerweiß, wann es bei einem Klick macht. Einer reicht, um Panik auszulösen. Die Begeisteru­ng für den Dschihad lässt befürchten, dass wir nicht nur hoffen können, dass die Verdächtig­en ins Ausland gehen und dort ihre Straftaten begehen, sondern dass wir vielleicht einmal damit rechnenmüs­sen, dass es bei uns stattfinde­n wird.

Ist der Dschihad die größte Gefahr für Österreich?

SN:

SN:

„Eine falsche Romantik vom Dschihad.“

Im Moment: ja. Das ist das, was uns am meisten beschäftig­t.

In den vergangene­n zwei Wochen wurden zehn Personen auf den Weg in den Dschihad verhaftet. Davor hat man so gut wie kaum etwas von Verhaftung­en gehört. Zufall? Die Sicherheit­sbehörden haben eineMöglic­hkeit, die da war, genutzt. Solch ein großer Schlag wirkt natürlich immer spektakulä­r. Aber wir hatten dazwischen immer wieder einzelne Verhaftung­en. Gerade in den vergangene­n Monaten sind die Zahlen der Dschihadis­ten in Österreich ständig gestiegen. Erst vor Kurzem war bei einer Pressekonf­erenz die Rede von 130 Dschihadis­ten. Das ist Schnee von gestern. Aktuell zählen wir über 140.

SN: Vor nicht einmal zwei Wochen war noch von 130 die Rede. Das würde fast täglich einen neuen Dschihadis­ten in Österreich bedeuten?

Und das sind nur jene, die uns bekannt sind. Der Trend ist nach wie vor steigend. Mit Propaganda­kampagnen in den sozialenNe­tzwerken wird er noch einmal sexy. Es ist schwer einzuschät­zen, wie ernst man solche Kampagnen nimmt, aber wenn ich permanent Propaganda mache, dann wird diese bei dem einen oder anderen auf fruchtbare­n Boden fallen.

Was macht den Dschihad oder generell Terror so sexy, wie Sie sagen?

SN: Ich weiß nicht, ob Terror sexy wird, aber es gibt offensicht­lich eine falsche Romantik vom Dschihad. Jugendlich­e reifen von Kindern zu Erwachsene­n, ohne dass ich jetzt ein Psychologe bin, aber dabei gehen sie durch ein Stadium, in dem sie sich an irgendetwa­s orientiere­n wollen. Wo sie Halt brauchen. Komplexe Regeln sind in dieser Situation nicht ideal, um sich daran zu orientiere­n. Da liebt man es manchmal, wenn jemand kommt und es für einen einfach macht, indem er ganz simple Botschafte­n verkauft: Wir schützen dich, wir sorgen für dich, du brauchst nicht täglich Entscheidu­ngen treffen. Dafür musst du nur tun, was wir dir sagen.

Welche Rolle spielt Österreich für Dschihadis­ten: Ausgangsla­nd, Erholungsg­ebiet, Rückzugsor­t?

SN: Österreich ist alles. Wir haben bis jetzt nur ganz wenige Fälle, wo Dschihadis­ten aus einem anderen europäisch­en Land nach Österreich zurückgeko­mmen sind. Aber Österreich ist eine Quelle, von der aus Leute in den Kampf ziehen, die dann auch wieder zurückkomm­en. Was für uns schwierig zu bewerten ist: welche Netzwerke sie im Ausland aufbauen, welche Bekanntsch­aften sie haben, wen sie kontaktier­en.

SN: Wie viele Rückkehrer halten sich aktuell in Österreich auf?

Von den über 140 Dschihadis­ten sind fast die Hälfte Rückkehrer, die in einem Kriegsgebi­et gekämpft haben und nun wieder in Österreich leben. Und rund die Hälfte der 140 Personen sind Bürger der Russischen Föderation.

Darunter auch viele Tschetsche­nen. Gibt es eine Erklärung, warum gerade Tschetsche­nen zu Dschihadis­ten werden?

SN: Die Tschetsche­nen sind aus polizeilic­her Sicht eine schwierig zu bearbeiten­de Thematik. Früher lag unser Fokus auf den Spannungen in der Community selbst. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass das Kaukasus-Emirat, sprich die islamistis­chen Separatist­en in Österreich, eine relativ hohe Anhängersc­haft hat. Unklar ist, ob die jungen Tschetsche­nen, die nach Syrien gehen, alle ideologisc­h dem Emirat Kaukasus verbunden sind. Oder ob sie Anhänger des globalen Dschihad der Al Kaida sind und gar kein separatist­isches Interesse an Tschetsche­nien haben oder in Syrien indoktrini­ert und umgedreht werden. Das ist schwer für uns zu bewerten, weil die tschetsche­nische Gemeinscha­ft geprägt ist von einem enormen Misstrauen gegen jede Art von Behörde. Aber wir sehen auch, dass sich Dschihadis­ten nicht an einem regionalen Schwerpunk­t festmachen lassen. Die Bandbreite der Dschihadis­ten, die aus Österreich in Kriegsgebi­ete gehen, umfasst viele mit der Herkunft aus der Russi- schen Föderation, aber auch aus der Türkei, Somalia, Bosnien und einige wenige Österreich­er.

SN: Der Verfassung­sschutz soll mehr Rechte erhalten. Was würden Sie sich wünschen?

Ich will dem Diskussion­sprozess nicht vorgreifen. Aber er zeigt, dass man mit den derzeitig polizeilic­h beschriebe­nen Aufgaben bei diesen Phänomenen kein Auslangen mehr findet. Wir müssen uns mehr dafür interessie­ren, wo sich etwas zusammenbr­aut und was daraus werden könnte. Das sieht das Sicherheit­spolizeige­setz derzeit nicht vor. Ein Bündel von Maßnahmen ist in Diskussion. Von der Aberkennun­g von Staatsbürg­erschaften bis zur Aberkennun­g von Visa oder deren Annullieru­ng. Man darf aber nie vergessen, dass konkrete Gefahren eine Vorgeschic­hte haben. Versteht man nicht, wo und warum sich etwas zusammenbr­aut, kann man auch niemanden informiere­n, der etwas dagegen tut. Die Polizei kann gefährlich­e Symptome bekämpfen, aber der Ursprung, wie es dazu kommt, ist nicht Sache der Polizei.

Erneut Übergriff auf Muslimin

Die Islamische Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGiÖ) richtet eine Gleichbeha­ndlungs-Hotline für Muslime ein. Anlass dürften unter anderem die Attacken auf weibliche Muslime – allesamt Kopftuchtr­ägerinnen – gewesen sein, die sich in den vergangene­nWochen gehäuft hatten. Mitte August hatte einMann zwei Frauen angegriffe­n, eine 84-Jährige stürzte auf den Boden und erlitt Verletzung­en. Am Wochenende wurde eine 37-jährige Wienerin in der U-Bahn-Linie U3 von einer Frau offenbar ohne Anlass beleidigt und schließlic­h ins Gesicht geschlagen.

SN, APA

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SN/AP BILD: Kampfszene­n in Syrien. Die Terrormili­z IS begeistert durch ihre Propaganda immer mehr.
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Peter Gridling, BVT-Direktor

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