Salzburger Nachrichten

Indiens neuer Kurs wird sichtbar

Nach 100 Tagen im Amt fällt das demonstrat­ive Schweigen des Premiers zu einer Anti-Muslim-Kampagne auf.

- HILMAR KÖNIG NEU-DELHI. Narendra Modi

Indiens konservati­ver PremierNar­endraModi ist 100 Tage im Amt. Sowohl seine hindu-nationalis­tische Indische Volksparte­i (BJP) als auch die Opposition ziehen eine erste Bilanz. Die BJP meint, sie habe den wirtschaft­lichen Abwärtstre­nd gestoppt und die „politische Lähmung“beendet. Die Krise sei zu Ende. „Nun müssen wir auf der Startbahn Gas geben“, betonte Modi. Als ganz großen Erfolg preist sein Team das Projekt an, jedem Haushalt die Eröffnung eines Bankkontos zu ermögliche­n. Damit werde die „finanziell­e Unberührba­rkeit“beträchtli­cher Bevölkerun­gsteile beseitigt. Es sei ein entscheide­nder Schritt im Kampf gegen die Armut. Die Kritiker monierten, wer keinen Job habe oder von der Hand in denMund lebenmüsse, dem helfe ein Konto mit Null-Guthaben auch nicht aus der Misere.

Dass das Auslandska­pital bis zu 49 Prozent in die Verteidigu­ngsindustr­ie und zu 100 Prozent in die Eisenbahn – das größte staatliche­Unternehme­n – investiere­n darf, gilt gleichfall­s als Errungensc­haft. Auf der Habenseite verbucht die BJP auch eine Reihe von administra­tiven Entscheidu­ngen, die die Opposition als Rückschrit­t bewertet. So werden Infrastruk­turmaßnahm­en zügiger umgesetzt, jedoch auf Kosten der Umwelt. Die Naturschut­zbehörde wurde geschwächt. Die Rechte der Gewerkscha­ften sollen beschnitte­n werden. „Ich habe Kommerz undMoney im Blut“, sagte Narendra Modi dieser Tage bei seinem Besuch in Japan. Apropos Außenpolit­ik. Hier war Modi ein nahezu unbeschrie­benes Blatt. Und hier hat er auch seine schärfsten Kritiker positiv überrascht. Die Einladung an alle südasiatis­chenNachba­rn, einschließ­lich Pakistan, zu seiner Amtseinfüh­rung war ein Paukenschl­ag. Es folgte Besuche in Bhutan und Nepal und die Visite in Japan, bei der er mit seinem Amtskolleg­en Shinzo Abe eine „spezielle strategisc­he und globale Partnersch­aft“aus der Taufe hob und die Zusage über Investitio­nen in Höhe von 35,5 Milliarden Dollar erhielt.

Am schärfsten wird der Premier an zwei Fronten attackiert: Zum einen gibt es eine unübersehb­are Zentralisi­erung der Macht in seiner Person, wie er sie zuvor 15 Jahre lang als Chefminist­er des Bundesstaa­tes Gujarat praktizier­te. Alles dreht sich um ihm. Alle Entscheidu­ngen gehen von ihm aus. Seine Gegner kritisiere­n diesen Stil, der so gar nicht in die demokratis­che Landschaft Indiens passt. Beispielsw­eise ordnete er an, dass am5. September zum Tag des Lehrers alle Schulen seine vomFernseh­en übertragen­e Rede und sein Treffen mit ausgewählt­en Schülern zu verfolgen haben. Die Schulen haben einen Vollzugsbe­richt abzuliefer­n.

Zweiter Angriffspu­nkt ist Modis demonstrat­ives Schweigen zu brisanten Äußerungen aus seiner Partei und anderer hindu-fundamenta­listischer Gruppen. Dabei geht es vor allem um diemuslimi­sche Minderheit. Ihr wird ein ominöser „Liebes-Dschihad“unterstell­t, durch den leichtgläu­bige Hindu-Mädchen vonMuslime­n verführt und zum Islam bekehrt würden. Angeblich handelt es sich umeine landesweit­e Verschwöru­ng, für die es allerdings keinerlei Beweise gibt. Zu dieser Offensive religiöser Fanatiker hat der Regierungs­chef in 100 Tagen kein einzigesWo­rt verlauten lassen.

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BILD: SN/AP
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