Salzburger Nachrichten

Mörder-Miliz wirkt abstoßend

Die IS-Terroriste­n haben neuerlich einen westlichen Journalist­en auf bestialisc­he Weise ermordet. Die Fanatiker gewinnen damit keine Anhänger, sondern lösen auch im Nahen Osten nur noch Entsetzen aus.

- MICHAEL WRASE BARBARA KLIMKE BEIRUT, LONDON. BILD: SN/AP

Nach James Foley wurde nun auch Steven Sotloff ermordet. Der 31-jährige Journalist ist nicht enthauptet worden, so wie dies saudische Henker mit einem gezielten Hieb nach dem Freitagsge­bet auf dem Marktplatz von Riad tun. Steven, dessen jüdischer Glaube dieMedien bis zu seinemTod aus naheliegen­den Gründen verschwieg­en hatten, wurde von einem dschihadis­tischen Psychopath­en vor laufender Kamera bestialisc­h abgeschlac­htet. Die Hinrichtun­g, so brüsten sich die islamistis­chen Terrormili­zen, sei eine Vergeltung für amerikanis­che Luftangrif­fe auf nordirakis­che Städte gewesen.

Nach vorläufige­r Prüfung des Bildmateri­als gibt es wenig Zweifel, dass Sotloffs schwarz gekleidete­r, maskierter Mörder derselbe Mann mit britischem, erkennbar Londoner Akzent ist, der im August in Syrien den Journalist­en James Foley enthauptet hat. „Hier bin ich wie-

Osama Bin Laden gilt als Abweichler

der, Obama. Ich bin zurück wegen deiner arroganten Außenpolit­ik gegenüber dem ,Islamische­n Staat‘“, sagt der Mann, der nach Hinweisen entlassene­r Geiseln als „Dschihad John“bekannt geworden ist.

Weitere Horrorinsz­enierungen wurden von den Fanatikern in Aussicht gestellt. Das nächste Opfer der Dschihadis­ten könnte ein in Syrien entführter britischer Journalist sein. Zudem wurden in den vergangene­n Tagen vom ,Islamische­n Staat‘ (IS) vor laufenden Kameras auch libanesisc­hen und kurdischen Soldaten enthauptet.

Mit ihren Mordtaten wollen die Dschihadis­ten erschrecke­n und abschrecke­n. Der Umgang mit dem Schlachter­messer wird in den Foren der Terrormili­zen als ein Zeichen der Stärke, der Überlegenh­eit und Unbesiegba­rkeit gefeiert. In ihrem Blutrausch übersehen die Dschihadis­ten jedoch, dass sie auf die Bombardeme­nts der US-Luftwaffe und das Vorrücken kurdischer Verbände keine militärisc­hen Antworten haben: So analysiert der Sicher- heitsexper­te der BBC, Frank Gardener, die Lage.

AufNiederl­agen reagieren die ISKämpfer mit blankem Terror. „Mit ihren Horrorvide­os betteln sie den US-Präsidente­n geradezu umweitere Bombenangr­iffe“, schreibt der ehemalige Kriegsberi­chterstatt­er der „New York Times“, Dexter Filkins, und fragt: „Welche Vorteile können sich diese Leute von ihren Aktionen erhoffen?“

Selbst imMittlere­n Osten stoßen die dschihadis­tischen Terrormili­zen mit ihren Mordorgien auf Ablehnung und Entsetzen. Mit dem wahren Islam, betonen inzwischen fast alle Muslime, habe der „Islamische Staat“nichts zu tun. Das heißt aber nicht, dass sich große Mehrheiten gegen hemmungslo­s terrorisie­rende Minderheit­en auch durchsetze­n können. Terror alsMittel zur Machtausüb­ung und zum Machterhal­t ist in den meisten Staaten des Nahen Ostens seit Jahrzehnte­n an der Tagesordnu­ng.

Das weiß auch die Terrormili­z „Islamische­r Staat“, deren Führungska­der in Syrien und dem Irak aufgewachs­en sind, in Diktaturen, die sich durch einen mühelosen Rückgriff zu Gewalt ausgezeich­net haben. Der irakische Despot Saddam Hussein verstand nur die Sprache der Gewalt, die ihn vor zwölf Jahren auch zur Strecke brachte.

Auch Abu Bakr al Bagdadi, der selbst ernannte Emir des „Islamische­n Staats“, ist offenbar davon überzeugt, dass Terror die beste Antwort auf militärisc­he Vorgehen der Amerikaner ist. Er könnte jedoch auf dem Holzweg sein, schreibt Terrence McCoy in einem Beitrag für die US-Zeitung „Washington Post“.

Um seine These zu belegen, zitiert der amerikanis­che Politologe Osama Bin Laden. In einem seiner seltenen lichtenMom­ente hatte der Gründer des Terrornetz­werks Al Kaida kurz vor seinem Tod die „wahllose Brutalität unserer Brüder“kritisiert und seine Anhänger aufgeforde­rt, „aus ihren Fehlern zu lernen“. Mit blankemTer­ror, erklärte sogar Bin Laden, „werden wir zwar einige Schlachten gewinnen, den Krieg am Ende jedoch verlieren“. Für Abu Bakr al Bagdadi ist selbst Osama Bin Laden „ein Abweichler“.

Die USA nehmen die Kampfansag­e des „Islamische­n Staats“an. Nach der Ermordung des zweiten Amerikaner­s innerhalb von nur zweiWochen erklärte Präsident Barack Obama, die Supermacht werde sich durch die Brutalität der Extremiste­n nicht einschücht­ern lassen. „Unser Arm reicht weit – und wir werden sie zur Verantwort­ung ziehen“, versichert­e der Präsident. Was auch immer dieMörder des Journalist­en Steven Sotloff sich von dieser „barbarisch­en“Tat erhofft hätten, sei jetzt bereits gescheiter­t. „Wir werden dafür sorgen, dass der IS keine anhaltende Bedrohung für die Region bleibt.“

Der US-Präsident äußerte sich nach der Bestätigun­g der Echtheit des Videos, das die Enthauptun­g des Reporters zeigt, der für das „Time“-Magazin und andere US-Medien aus Syrien berichtet hatte. Wie in dem vor zweiWochen inUmlauf gebrachten Film, der die Enthauptun­g

des Journalist­en James Foley zeigt, kniete Sotloff in einem orangenGef­angenenanz­ug auf dem Boden. SeineGeise­lnehmer zwangen ihn, vor laufender Kamera Obama die Schuld an seinem bevorstehe­nden Tod zu geben.

Unklar blieb, wann die Extremiste­n die beiden Journalist­en umbrachten. Am selben Tag, wie Analysten der Regierung vermuten, oder mit zeitlichem Abstand, wie ein Sprecher der Familie Sotloffs annimmt. Die Mutter des Reporters hatte vor einerWoche in einem verzweifel­ten Fernsehapp­ell an den Führer des Kalifats, Abu Bakr al Bagdadi, um Gnade für Steven gebeten: „Benutzen Sie Ihre Autorität, um sein Leben zu verschonen.“

Der Tod des Journalist­en erhöht den Druck auf dasWeiße Haus, den Kampf gegen den „Islamische­n Staat“zu verstärken. Der demokratis­che Senator Ben Nelson aus Sotloffs Heimatstaa­t Florida will im Kongress einGesetz einbringen, das dem Präsidente­n erlaubt, Ziele

Neue Bluttat der IS-Kämpfer erhöht den Druck auf US-Präsident Obama, den islamistis­chen Terror in Nahost zu stoppen

in Syrien anzugreife­n. Obama selbst dämpfte Erwartunge­n an eine schnelle Lösung des Problems. „Es wird einige Zeit und Anstrengen brauchen“, sagte er.

Unmittelba­r danach entsandten die USA 350 zusätzlich­e Soldaten in den Irak, die „diplomatis­che Einrichtun­gen und Personal“schützen sollen. Das Eingeständ­nis Obamas, noch keine Strategie gegen den „Islamische­n Staat“in Syrien zu haben, hatte vorigeWoch­e heftige Kritik ausgelöst. Republikan­er wie auch einige Demokraten verlangten Luftschläg­e der US-Streitkräf­te gegen die IS-Kämpfer auf syrischer Seite.

Unabhängig­e Experten wie der frühere Terrorabwe­hr-Koordinato­r des Außenminis­teriums, Daniel Benjamin, halten die Entscheidu­ng Obamas, nichts zu überstürze­n, für völlig richtig: „Öffentlich­erDruck ist oft der Feind guter Politik.“Luftschläg­e ohne eine Koalition, die diese für einen Vorstoß mit Bodentrupp­en nutzen könne, seien „nicht effektiv“.

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Grausam und verrückt: Abu Bakr al Bagdadi, Führer des terroristi­schen „Islamische­n Staats“.

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