Noch so jung und schon so gut
Seit Jahren verblüfft der erst 25-jährige Kanadier Xavier Dolan alle mit seinem frühzeitigen Talent. Nun kommt mit „Sag nicht, wer du bist!“bereits sein vierter Film ins Kino.
NachdemTod seines geliebten Partners besucht Tom (Xavier Dolan) dessen Familie auf dem Land. Doch die hatten keine Ahnung, dass ihr Sohn schwul war – und zwischen dem Bruder des Toten und Tom entwickelt sich eine verstörend intime Beziehung: „Sag nicht, wer du bist!“ist ein knapper und intelligenter Thriller, die vierte Regiearbeit des inzwischen 25-jährigen Kanadiers Xavier Dolan. Er feierte vor einem Jahr im Wettbewerb von Venedig seine Premiere. Jetzt kommt der Film ins Kino.
„Sag nicht, wer du bist!“beruht auf einem Theaterstück. Was war daran der spannende Moment?
SN: Dolan: Es gab keinen spannenden Moment. Wenn auf der Bühne ein Schauspieler einen anderen würgt, finde ich das nicht besonders furchteinflößend, das wirkt inszeniert und künstlich. Und ich fand, all diese Gewalt und Brutalität könnte doch auch visuell aufregend sein, das passt viel besser auf die Leinwand. Eswar also nicht, was ich im Stück gesehen habe, sondern das, was mir daran gefehlt hat.
SN: Es ist das erste Mal, dass in einem Ihrer Filme jemand wegen seiner Homosexualität bedroht wird.
Das ist ein Aspekt, ja. Trotzdem handelt der Film eher von Gewalt und vom Stockholm-Syndrom und von den Geschichten, die wir erzählen, um uns vor der Wahrheit zu schützen. Was Sie ansprechen, ist eben das Thema des Theaterstücks. Aber die Idee meines Films ist nicht zu zeigen, wie Homosexuelle auf dem Land leiden. Es ist schon ein bisschen komplexer.
Streckenweise erinnert Ihr Film an Hitchcocks „Psycho“.
SN: Dabei hatte ich vor dem Dreh noch keinen einzigen Hitchcock-Film ge- sehen! Irgendwann, ich war mitten im Schnitt, sagte ich mir: „Es reicht! Ich mache hier einen Psychothriller und kenne nichts von Hitchcock, das ist doch lächerlich.“Ich bin zwar erst 24 und habe erst mit 16 so richtig begonnen, Filme zu sehen. Weil ich ab 18 schon Vollzeitregisseurwar, hatte ich also nurzwei Jah- re, ummir eine Filmkultur anzueignen. Aber über Weihnachten habe ich dann einen Hitchcock-Marathon hingelegt, 20 Filme hintereinander, „Psycho“, „Marnie“, „Die Vögel“, „Cocktail für eine Leiche“, der – glaube ich – mein liebster ist.
Sie setzen Filmmusik ungewöhnlich laut ein, fast so heftig wie in einem „Transformers“-Blockbuster. Warum?
SN: Warum nicht? Es war mir wichtig, um Stressmomente im Film zu betonen. DieMusik ist die Stimme und die Seele dieses Films. Dabei dachte ich zuerst, ich würde gar keine Musik brauchen. Ich hatte kein Geld dafür, und ich dachte, die Stillewäre angsteinflößend genug. Aber beim Schnitt merkte ich, dass etwas fehlte, und so probierte ich mit Musik der großen Filmkomponisten herum, Philip Glass, Hans Zimmer, James Newton Howard. Das ergab dann Sinn. Das verstand ich erst nach meinem Hitchcock-Marathon.
SN: Sie tragen auf dem Unterarm ein Tattoo einer Scheune, das dem Heustadel auf dem Presseheft zum Film zum Verwechseln ähnlich sieht.
Ja, diese Tätowierung repräsentiert den Film. Die meisten meiner Tattoos stehen für wichtige Momente in meinem Leben. Und ich habe natürlich auch das Presseheft selbst gemacht und dafür gesorgt, dass dieses Bild auf dem Umschlag ist.
Es ist ungewöhnlich, sich als Regisseur eines Films um solche Details zu kümmern.
SN: Ich bin Kontrollfreak, ich will alles selbst machen. Nicht, weil ich es niemand anderem zutraue, sondern weil ich es liebe. Für mich ist das die logische Erweiterung der Arbeit am Film. Wenn Sie Malerin sind, rufen Sie nicht die Pinselabteilung an und dann die Ölabteilung, da arbeiten keine 25 Leute an Ihrem Bild mit, das tun nur Sie. Und das, was Sie am Ende ansehen, ist voll und ganz Ihr Werk. Beim Filmen ist man aber nie allein, es ist schlicht undenkbar, einen Spielfilm komplett allein zu machen. Aber ich versuche, so viel wie möglich selbst zu tun.
Sie haben trotz Ihrer Jugend eine beeindruckende Filmografie. Was hat Ihnen das Selbstvertrauen gegeben, so früh so weit zu kommen?
SN: Das hat mir niemand gegeben, ich muss nur an die Filme glauben, die ich machen will, und an ihre Ehrlichkeit. Allmählich habe ich den Eindruck, dass auch die Filmkritiker akzeptieren, dass ich Filmemacher bin, und nicht nur irgendein Teenager, dessen Hausaufgaben sie korrigieren.
Die Leute halten mich gerne für einen frechen Buben. Ich gebe zu, es war vielleicht nicht der schlaueste Schachzug, via Twitter einem Kritiker auszurichten, dass er meinen Hintern küssen könne. Ich habe Angst davor, dass meine Filme gehasst werden, weil sie so intim sind, dassmich der Hass persönlich trifft. Aber das muss ich versuchen zu vergessen.
Sag nicht, wer du bist!
Thriller, Kanada 2013. Regie: Xavier Dolan. Mit Xavier Dolan, Pierre-Yves Cardinal, Lise Roy, Evelyne Brochu. Start: 5. 9.